Mit Nebenwerten höher hinaus

Der Höhenflug amerikanischer Technologieaktien hat die Anleger elektrisiert. Aktien aus der zweiten Reihe sind dabei aus dem Fokus geraten. Zu Unrecht. Denn viele mittlere und kleine Firmen – auch aus Deutschland – sind Weltmarktführer.

Text: Thomas Luther

Die mobilen Handheld-Computer von ACD Elektronik im baden-württembergischen Achstetten sehen aus wie große Smartphones mit physischer Tastatur. Doch mit den Hightech-Geräten lässt sich per WLAN ein Maschinenpark genauso steuern wie die Zusammenstellung von Paketsendungen in einem Warenlager. Für seinen Erfindergeist wurde das Unternehmen vor drei Jahren mit dem German Innovation Award ausgezeichnet. Ein hohes Entwicklungstempo ist für ACD dabei wichtig. Ähnlich wie bei Smartphones ist eine Gerätegeneration schnell technisch überholt.

Viele kleine und mittlere Firmen haben sich zu Weltmarktführern in ihrem Bereich entwickelt. Oft sind es Nischensegmente. Die Firmennamen? Meist nur Brancheninsidern geläufig. Solche Hidden Champions gibt es nicht nur hierzulande. „In ganz Europa finden sich Unternehmen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells nachhaltiges Wachstum liefern – neben Deutschland vor allem in Skandinavien und der Schweiz“, sagt Matthias Bussemer, Fondsmanager des Deka-Europa Nebenwerte. „Das gilt vor allem für die Technologiebranche, aber auch für Pharma, Medizintechnik und Industrie.“

Diese Marktführer investieren hohe Summen in neue Technologien, gestalten ihre Innovationsprozesse offen, ohne die Produktentwicklung aus der Hand zu geben, und sie liefern passgenaue Kundenlösungen. „Sehr häufig entwickeln und produzieren sie funktionskritische Zulieferteile, die für das Zielprodukt von elementarer Bedeutung sind, da Ausfälle und Reparaturen unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würden“, weiß Bussemer. „Mit ihrer überdurchschnittlichen Qualität und konkurrenzlosen Technologie können diese Zulieferer daher höhere Preise durchsetzen.“

Der emeritierte Wirtschaftsprofessor und Buchautor Hermann Simon hat weltweit rund 3000 Hidden Champions identifiziert, mehr als die Hälfte davon in Deutschland. „Kein anderes Land hat so viele Hidden Champions wie wir“, betont Simon. Die meisten dieser Champions in Deutschland sind dabei Familienunternehmen. Dass sie an die Börse gehen und damit für Außenstehende investierbar werden, ist in anderen Ländern ausgeprägter als in Deutschland. „In der Schweiz und in den skandinavischen Ländern gibt es eine andere Unternehmens- und Kapitalmarktkultur, wovon Institutionelle und Fonds profitieren“, erläutert Bussemer.

Starke Skandinavier

In Schweden etwa haben Mid Caps, also Aktientitel mit mittelgroßer Marktkapitalisierung, und die noch kleineren Small Caps eine große Bedeutung, insbesondere im Industriebereich, bei digitaler Infrastruktur, Energie und Gesundheit. Solche Erfolgsgeschichten gibt es auch in Deutschland, etwa Teamviewer aus Göppingen. Das Start-up war mit Programmen zur Fernwartung von Computern groß geworden und ist im MDAX notiert. Auf 2,5 Milliarden Geräten weltweit ist die Software installiert.

Die Schmuckindustrie ist eine Branche mit starken Firmen – etwa dem dänischen Hersteller Pandora, einem der größten Einzeltitel im Fonds Deka-Europa Nebenwerte.

Doch von der deutschen Öffentlichkeit wird die Leistung des Mittelstands kaum wahrgenommen. Zu diesem Ergebnis kam zumindest eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC aus dem Jahr 2023. Kein Wunder also, dass viele Aktien aus der zweiten Reihe an der Börse seit geraumer Zeit ein Schattendasein fristen. Die Musik spielte zuletzt vor allem an der Wall Street.

Viele deutsche Nebenwerte gerieten darüber in Vergessenheit. Oft legten die Kurse sogar den Rückwärtsgang ein. Während sich der DAX relativ schnell vom Ukraineschock erholte und 2024 neue Allzeithochs markierte, ist im MDAX von Dynamik keine Spur. Mit rund 25.000 Punkten lag er zu Redaktionsschluss um knapp ein Drittel unter seinem Rekordhoch aus dem Jahr 2021.

Doch mit Blick auf das Jahr 2025 stehen die Chancen gut, dass Aktien aus der zweiten und dritten Reihe zur Aufholjagd starten. „Eine fortgesetzte Lockerung der EZB-Geldpolitik wird den Nebenwerten zu einer stärkeren Wertaufholung gegenüber den hoch kapitalisierten Werten verhelfen“, ist Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der Deka, überzeugt. „Das gilt auch für die relative Betrachtung des MDAX gegenüber dem DAX.“ Das Kalkül dahinter: Small und Mid Caps benötigen für ihr Wachstum im Verhältnis mehr Kapital als Großunternehmen. „Daher belasten höhere Finanzierungskosten sie relativ stärker als die Großkonzerne. Dieser Effekt wird sich mit dem Zinsrückgang abschwächen“, erklärt Schallmayer.

Problemfaktor Energie

Neben den Zinsen drückten auch die gestiegenen Energiepreise die Kurse der Nebenwerte, vor allem in Deutschland. Dieser Kostenschub war für Mittelständler schwerer zu verkraften als für Großkonzerne, denn MDAX-Unternehmen erwirtschaften rund ein Drittel ihres Umsatzes im Inland; bei den DAX-Konzernen sind es 17 Prozent. Die Großkonzerne haben ihre Produktion oft rund um den Globus verteilt und sind damit auch in ihrer Energieversorgung breiter aufgestellt.

Aus Angst vor sinkenden Erträgen zogen viele Anleger Liquidität aus kleinen und mittleren Unternehmen ab und nahmen Bewertungsabschläge vor. „Hinzu kam die Angst vor bösen Überraschungen in den Bilanzen“, ergänzt
Philipp Spormann, Analyst bei der Deka. Doch er macht Hoffnung: „All diese Belastungen sind weitgehend verschwunden. Der Trend, dass sich die Geschäftsergebnisse der Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe mehrheitlich besser entwickeln als vom Markt erwartet, hat sich fortgesetzt.“

Chipproduktion beim schwedischen IT-Hersteller HMS Industrial Networks: Die Firma ist ein Paradebeispiel für einen skandinavischen Hidden Champion.

Die Expertinnen und Experten der Deka gehen in einer Anfang 2024 veröffentlichten Studie davon aus, dass sich die Rahmenbedingungen für Nebenwerte weiter verbessern. Die lange Zeit straffe Geldpolitik der Notenbanken hat zu einem erheblichen Anstieg der Risikoprämien europäischer Small und Mid Caps geführt. Das spricht nun für eine Kurserholung dieses Aktiensegments. „Fundamental betrachtet lässt sich die hohe Risikoprämie allerdings nicht rechtfertigen“, beobachtet Deka-Experte Spormann, „denn trotz Zinswende konnten die Unternehmensgewinne europäischer Small Caps mit der von Large Caps Schritt halten. In einem Umfeld, in dem sich die Wirtschaften stabilisieren, wird das Gewinnwachstum der kleineren Werte mit dem der Dickschiffe zumindest weiter mithalten können.“

Das Bild hellt sich auf

In einer im Juli veröffentlichten Studie rechnet die Deka damit, dass der MDAX im Februar 2025 auf 27.500 Punkte steigen könnte und bis August 2025 sogar auf 30.000 Punkte. Damit billigen die Experten dem deutschen Nebenwerteindex mehr Potenzial zu als etwa dem DAX, dem amerikanischen Index S&P 500 oder dem EuroSTOXX50. Gut möglich also, dass die Hidden Champions schon bald aus dem Schatten ins Rampenlicht der Börse treten. Und das nicht nur bei den Nebenwerten in Deutschland im MDAX und SDAX, sondern in ganz Europa.

Land der Champions

Vor allem aus historischen Gründen gibt es in Deutschland so viele Weltmarktführer.

„Es gab eine frühe Tendenz zur Internationalisierung, die bis heute typisch für deutsche Unternehmer ist, anders als etwa in Frankreich, Japan oder den USA“, sagt Hermann Simon. Konzerne wie Bosch erkannten schon Ende des 19. Jahrhunderts, dass eine Expansion außerhalb des Heimatmarkts sinnvoll ist. Eine weitere Ursache sieht Simon darin, dass sich in vielen Regionen Deutschlands über Jahrhunderte besondere handwerkliche Fähigkeiten herausgebildet haben. So ist es kein Zufall, dass es zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb heute mehr als 500 Medizintechnikunternehmen gibt. Ihre Ursprünge liegen in der Uhrenindustrie. Hinzu kommen Partnerschaften und Technologietransfers zwischen Hochschulen und Unternehmen. Für den Wirtschaftswissenschaftler Simon spielt auch das duale Berufsausbildungssystem in Deutschland eine wichtige Rolle für den Erfolg. „Wir haben die am besten ausgebildeten Facharbeiter der Welt“, sagt er.

Fotos: iStockphoto

 

 

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