Frischer Wind fürs Festival in Knechtsteden

Das Festival Alte Musik Knechtsteden präsentiert vom 21. bis 28. September 2024 wieder acht erstklassige Konzerte, spannende thematische Schwerpunkte und zwei musikalischen Radtouren. 

Für das Festival rund um die Dormagener Klosterbasilika brechen neue Zeiten an – nach 32 Jahren hat sein Gründer Hermann Max den Staffelstab an den bisherigen Geschäftsführer Michael Rathmann übergeben, der künftig mit wechselnden Residenzkünstlerinnen und Residenzkünstlern das Programm gestaltet. Für die Ausgabe 2024 unter dem Titel „ZwischenWelten“ wurde Dorothee Oberlinger gewonnen.

Auf dem Programm stehen unter anderem Eigenproduktionen mit Händels erstem Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ und die Konzertinszenierung „Of Darkness – Eine Chorfantasie“. Auch die Konzertlesung „Deutsche Winterreise“ mit Geschichten von Menschen im Abseits und einem prominenten Sprecherensemble rund um Eva Mattes sowie Frank Martins monumentales Oratorium „Golgotha“ zum Festivalfinale werden echte Höhepunkte sein.

Neben nicht wegzudenkenden Künstlern wie dem Ensemble 1700 und der Rheinischen Kantorei werden auch wieder hochklassige Gäste mitwirken. Etwa das britische Gesangssextett The Gesualdo Six in der „Gregorianischen Nacht“, das Ensemble Anima Shirvani in der „Landpartie“ und die Akademie für Alte Musik Berlin. Flankiert wird das Festival durch zwei Movimento-Radtouren am 25. August und 8. September. Das komplette Programm finden Sie auf der Webseite des Festivals. Das S-Quin-Magazin sprach mit Festivalleiter Michael Rathmann über das Programm.

Michael Rathmann: Foto: Thomas Kost

S-Quin-Magazin: Sie sind jetzt offiziell Festivalleiter. Herzlichen Glückwunsch!
Michael Rathmann: Vielen Dank!

Wie stellt sich jetzt das erste Festival ohne Hermann Max dar?
Wir haben einige Neuerungen. Das ist auch natürlich, denn Hermann Max hat das Festival über 30 Jahre lang geleitet. Da kann man nicht einfach in seine Fußstapfen steigen; vor allem nicht bei einer Koryphäe wie Hermann Max, der von der musikalischen Forschung bis zur Aufführung fast alles in Personalunion gemacht hat. Deshalb haben wir das Konzept überarbeitet.

Wie läuft das ab?
Wir teilen die Arbeit zwischen Festivalleitung und künstlerischer Leitung stärker auf. Ich werde als Festivalleitung die Konstante über die nächsten Jahre sein, dazu gibt es immer noch einen Residenzkünstler oder eine Residenzkünstlerin, der oder die stark ins Programm eingebunden ist. Außerdem haben wir mit unserem Hausensemble, der Rheinischen Kantorei, eine feste Konstante. Sie wird in Nachfolge von Hermann Max künftig von Edzard Burchards geleitet.

Wer ist 2024 Residenzkünstler oder Residenzkünstlerin?
2024 und 2025 wird das Dorothee Oberlinger sein, die schon seit vielen Jahren unserem Festival eng verbunden ist. Sie ist eine Koryphäe im Bereich Alte Musik und bringt neue Ideen ein. Sie ist eine fantastische Solistin an der Blockflöte, dirigiert, ist auch im Operngenre zu Hause – und wirkt deshalb auch bei drei der acht diesjährigen Konzerte mit. Durch das Residenzmodell haben wir immer neue Impulse und künstlerische Flexibilität. Frau Oberlinger ist sehr gut vernetzt in der Szene, dadurch haben wir Zugang zu vielen neuen spannenden Künstlerinnen und Künstlern, die wir auf dem Podium begrüßen dürfen. Darauf freue ich mich sehr.

Dorothee Oberlinger ist als Residenzkünstlerin sehr stark ins Programm eingebunden. Foto: Thomas Kost

Was gibt es Neues im Programm?
Sehr viel! Dieses Jahr haben wir zum Beispiel wieder große Chorprogramme. Wir öffnen uns auch musikalisch und haben neben unserem Kern, der barocken Musik, verstärkt andere Epochen im Programm – von der Romantik bis zum Frühmoderne. Ein Beispiel ist das Abschlusskonzert „Oratorium Golgotha“ von Frank Martin am 28. September in der Klosterbasilika Knechtsteden. Das Werk wurde 1949 uraufgeführt und enthält auch Reminiszenzen an Johann Sebastian Bach. Es ist toll, dass wir so ein großes, monumentales Werk in Gänze beim Festival aufführen können.

Ein anderes Highlight ist gleich das Auftaktkonzert, ein Oratorium von Händel. Dieses Jahr gibt es keine Barockoper im Neusser Globe, aber das kommt ihm am nächsten, oder?
So ist es. Leider macht die sehr erfolgreiche Reihe „Globe Baroque“ 2024 und 2025 Pause, weil das Gelände für die Landesgartenschau umgestaltet wird. Ab 2026 machen wir wieder weiter. Das Oratorium „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“, das am 21. September in der Klosterbasilika aufgeführt wird, ist sehr theatralisch angelegt. Das Stück dreht sich um den Sinn des Lebens, um Nachhaltigkeit und den Reiz kurzfristiger Verlockungen und ist daher auch heute noch aktuell.

Und wie ist es musikalisch?
Es enthält viele tolle Arien – das sind richtige Ohrwürmer! Ich bin glücklich, dass wir das jetzt zeigen, weil Händel bei uns in den letzten Jahren relativ wenig aufgeführt wurde. Außerdem sind die mitwirkenden Künstler erstklassig. Dorothee Oberlinger hat wirklich die Creme de la Creme der Newcomer eingeladen – Künstler wie Alois Mühlbacher sind die Stars von morgen.

Sänger mit großer Zukunft: Alois Mühlbacher. Foto Alexander Eder

Sechs der acht Konzerte finden in Knechtsteden statt, davon drei in der Basilika. Wird der Fokus des Festivals wieder stärker nach Knechtsteden gerückt?
Das liegt daran, dass wir einige Werke aufführen, die insbesondere in der Basilika richtig zur Geltung kommen. Zum Beispiel die „Gregorianische Nacht“ mit den Gesualdo Six am 26. September – die braucht einfach diesen Raum. Gleiches gilt für das Programm „Of Darkness“ mit zahlreichen romantischen und frühmodernen Motetten und Chorwerken an gleicher Stelle einen Tag später.

Haben Sie auch neue Aufführungsorte?
Ja, den Kulturhof Knechtsteden mit seinem Bullenstall. Der ist zwar auch auf dem Klostergelände, bietet aber eine rustikalere und weltlichere Atmosphäre. Dort gibt es am 24. September das Programm „Deutsche Winterreise – Liederzyklus mit Geschichten von Menschen im Abseits“. Außerdem veranstalten wir wieder ein Konzert in der Eventscheune Schloss Arff – letztes Jahr waren wir zum ersten Mal in dem kleinen, wunderschönen Barockschlösschen vor den Toren Dormagens. „Ballo Della Battaglia – Die Klage des Friedens“ heißt das Konzert am 23. September mit Dorothee Oberlinger und Akamus, einem der besten Deutschen Barockorchester. Nächstes Jahr möchten wir weitere neue Veranstaltungsorte erschließen, um mehr in die Region auszustrahlen und auch ein neues Publikum zu gewinnen.

Das machen Sie ja auch mit der Radtour Movimento erfolgreich.
Ja, das ist eine Blaupause, um das Festival weiterzuentwickeln. Eine Umfrage unter unseren Besuchern hat ergeben, dass sie durch die verschiedenen Konzertstationen entlang der Movimento-Radtour Interesse an Alter Musik mit historischer Aufführungspraxis bekommen haben. Vorher waren ihnen unser Festival und der Begriff Alte Musik nicht wirklich ein Begriff gewesen. Jetzt sind sie Fans.

Das Ensemble Anima Shirvani verkörpert den Brückenschlag zwischen den Kulturen, für den das Festival steht. Foto: Anna KristinaBauer

Das Festival hat 2024 das Motto „ZwischenWelten“. Das gilt organisatorisch, weil sie neue Wege gehen, aber auch programmatisch. Einige Beispiele haben Sie schon genannt. Haben Sie weitere?
Zu Programm gehören Gegenpole – und die Welt dazwischen. Das können auch gesellschaftliche Gegenpole sein, die wir vielleicht nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen wollen und die durch die Musik verdeutlicht werden – wie zum Beispiel im Programm „Deutsche Winterreise“. Für mich war es eine Herzensangelegenheit, es nach Knechtsteden zu holen.

Worum geht es dabei?
Der Musikjournalist Stefan Weiller ist jahrelang durch Deutschland gereist ist und hat mit Menschen im sozialen Absatz gesprochen, etwa in Pflegeeinrichtungen und Sozialeinrichtungen. Diese Schicksale hat er in einer sehr lakonischen Sprache zusammengefasst und dem Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert gegenübergestellt. Das wird jetzt in einer überarbeiteten Neuauflage bei uns aufgeführt. Das passt klar in unser Festivalkonzept: Wir wollen keinen musealen Blick auf die Alte Musik werfen, sondern überlegen, was sie mit uns heute macht. Wir wollen Verbindungen herstellen.

Und das funktioniert?
Sehr gut! Ich habe Schuberts Liederzyklus schon oft gehört. Oft diskutieren die Konzertbesucher nur über Musik und Sänger. Dass das, das die Musik an Inhalten transportiert, auch heute relevant ist, haben viele nicht auf dem Schirm. Genau das wird durch die Texte von Stefan Weiller unterstützt.

Sie haben auch hervorragende Künstler gewinnen können.
Wir haben ein sehr prominentes Sprecherensemble um die Schauspielerin Eva Mattes und auch mit unseren Sängern Konstantin Paganetti und Ulrike Malotta eine tolle musikalische Besetzung.

Aus England dabei: Das Gesangssextett The Gesualdo Six tritt in der „Gregorianischen Nacht“ auf. Foto: Ash Mills

Können Sie noch andere Beispiele nennen?
Unsere „Landpartie West-Östlicher Divan“ am 22. September im Bullenstall Knechtsteden ist ein weiteres gutes Beispiel. Dort verbinden wir kulturelle Welten – europäische Renaissancemusik tritt in den Dialog mit Mugam, der traditionellen persischen und aserbaidschanischen Kunstmusik. Man sieht so die Gemeinsamkeiten und unterschiedlichen Entwicklungen der Kulturen. In den heute sehr polarisierenden Zeiten halten wir es für wichtig, die Zwischentöne herauszuarbeiten, denn unsere Gesellschaft ist bunt.

Sie haben erwähnt, dass Frau Oberlinger sehr dabei geholfen hat, aufstrebende Stars für das Festival gewinnen zu können.
Genau. Dorothee Oberlinger ist für uns auf so vielen Ebenen ein Gewinn. Ob es nun der kreative Austausch ist, das Künstlerische oder der menschliche Umgang – ich bin sehr froh, dass sie an Bord ist. Was die Musikerriege betrifft, gäbe es viele Beispiele: Beim Eröffnungskonzert, dem Händel-Oratorium ist zum Beispiel Dennis Orellana dabei. In den nächsten Jahren wird man noch sehr, sehr viel von diesem aufstrebenden Sopranisten hören. Wir verstehen unser Festival als Festival der Entdeckungen und dazu gehört auch Künstler kennenzulernen, die man noch nicht so auf dem Schirm hat, aber sofort das große Talent sieht. Wir haben aber auch alte Bekannte dabei.

Zum Beispiel?
Das Ensemble Reflektor, das schon zweimal zu Gast war. Diese junge Formation hat eine unheimliche Spielfreude und ist beim Abschlusskonzert dabei. Es gibt in Deutschland nichts Vergleichbares.

Mit Movemento haben sie ja auch Kontinuität dabei. Wie läuft die Radtour in diesem Jahr ab?
Wir haben wieder zwei Touren – am 25. August ist die Tour entlang der Erft und am 8. September am Rhein. Bei der ersten Tour kooperieren wir mit dem Festival „Shalom-Musik.Koeln“, dort stehen jüdische Musik und jüdische Kultur im Fokus. Wir haben an den acht Stationen zwischen Bedburg und Erftstadt ein breites Spektrum von alter bis zeitgenössischer Musik. Die Spielstätten sind wunderschön. Es sind so viele Schlösser dabei, das ist fast wie an der Loire. Sie Strecke ist 42 Kilometer lang.

Die Movimento-Radtouren sind ein wichtiger Bestandteil des Festivals. Foto: Kay-Uwe Fischer

Und die zweite Tour?
Die zweite Tour ist mit 35 Kilometern etwas kürzer und findet erneut am Tag des offenen Denkmals statt. Sie geht von Düsseldorf über Monheim nach Leverkusen. Hier werden Schlösser, Kirchen und Industriedenkmäler zur Kulisse für die Kurzkonzerte, dazu gibt es Kleinkunst und Besichtigungen. Auch hier haben wir neue Spielstätten dabei – zum Beispiel das Erholungshaus in Leverkusen, wo die Tour mit einem symphonischen Konzert endet. Spannend finde ich auch das Matchboxtheater in einer alten Leverkusener Streichholzfabrik. Diese Konzert- und Comedybühne ist eine echte Entdeckung. Wir haben sogar ein Konzert in einem Parkhaus – mit Alphornmusik. Wir haben uns schon ein paar neue Dinge ausgedacht, um Traditionen aufzubrechen.

Laufen die Touren ab wie letztes Mal?
Ja. Movimento ist eine Tagesveranstaltung, bei der zu vier Zeitpunkten gestartet werden kann, jeweils im Abstand von 30 Minuten. Das hat damit zu tun, dass die Spielstätten teilweise sehr klein und exklusiv sind. Wir wollen ja nicht, dass alle 200 Teilnehmer pro Tour gleichzeitig an den Konzertstationen ankommen. Am Start, also Schloss Benrath beziehungsweise Schloss Bedburg, wird das Ticket in einen Badge umgetauscht, den man sich umhängt. Damit hat man an den Konzertstationen freien Zugang. Wir geben die Route vor, aber in welchem Tempo man die Tour gestaltet oder ob man eine Station auslässt, bleibt jedem selbst überlassen. Es gibt natürlich auch etwas Kulinarisches an den einzelnen Stationen.

Sie haben auch ein Musikvermittlungsprojekt rund um den alternativen Karneval der Tiere im Programm, richtig?
Unser Festival hat auch eine Musikvermittlungssparte. Wir pflegen in dem Rahmen seit sechs Jahren eine intensive Kulturpatenschaft mit der Christoph-Rensing-Schule im sozialen Brennpunkt Dormagen-Horrem. Neben der wöchentlich stattfindenden SingPause gibt es auch immer wieder besondere Musiktheater-Projekte mit den rund 200 Grundschülern. Vor zwei Jahren haben wir dort „König Karotte – Gemüse an die Macht“ aufgeführt, angelehnt an Jacques Offenbachs komische Oper „Le roi Carotte“ – und damit einen bundesweiten Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Denn im Rahmen des Projekts wurde in einer Nachhaltigkeitswoche unter anderem auch der Schulgarten aufgemöbelt.

Und diesmal?
Diesmal steht der „Karneval der Tiere“ im Mittelpunkt. Dort lief nach über einem halben Jahr Vorbereitungszeit gerade eine Projektwoche, in der die Schüler das gleichnamige Musiktheater-Stück erarbeitet und Kostüme gebastelt haben. Auch der Schulgarten wurde erweitert, ein Barfußpfad angelegt, Insektenhotels gebaut, Instrumente vorgestellt, gesungen und das freie Sprechen auf der Theaterbühne trainiert. Am 22. Juni hatten wir dann zwei große, ausverkaufte Schulaufführungen mit rund 600 Besuchern. Das Projekt ist sehr herausfordernd, weil die Schülerschaft sehr heterogen ist. Von den Lehrern wissen wir, dass sich viele Schüler seit Corona hinter ihr Handydisplay zurückgezogen haben. Da wollen wir jetzt die kreativen Potenziale rauskitzeln. Und das klappt! Meine Kollegin, die Musikvermittlerin Ulrike Neukam, leistet hier ganz tolle Arbeit.

Wie wichtig sind das Engagement der Sparkasse Neuss und der Stiftung Kulturpflege und Kulturförderung der Sparkasse Neuss in diesem Jahr für Ihr Festival?
Beide Förderungen sind wirklich tragende Säulen für unser Festival. Ohne das Engagement der Sparkasse Neuss wäre das Festival in dieser Art und Weise mit seinem vielfältigen Angebot quer durch alle Generationen und sozialen Milieus einfach nicht möglich. Deswegen freue ich mich wieder sehr über die Unterstützung und bin dankbar für die langjährige, vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Titelfoto: Thomas Kost

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