Corona stresst jeden. Vor allem für Eltern und pflegende Angehörige ist die Belastung enorm. In diesem Szenario ist es wichtig, sich regelmäßig Freiräume zu schaffen.
Text: Eva-Maria Neuthinger
Bürojob im Homeoffice, Sohn in der Grundschule, Tochter in der Kita – und dann noch der Haushalt: Katharina Grune (Name geändert) steht unter Stress. Die 35-Jährige schläft schlecht, auf die Wünsche ihrer Kinder reagiert sie ungewohnt schnell gereizt. Sie fühlt sich ausgelaugt. „Unter ähnlich massivem Druck stehen derzeit viele“, berichtet Anja Thiesbürger, Inhaberin von Happy You, einem Studio für ganzheitlich-gesunde Lebensweise, und Dozentin in Hamburg. „Das Problem ist, dass wir Stresshormone extrem langsam abbauen. Selbst wenn die Pandemie einmal vorbei ist, braucht der Körper noch Monate, um sich zu regenerieren.“
Die Krankenkasse AOK listet im Netz eine ganze Reihe typischer Folgen auf: innere Unruhe, Probleme beim Ein- und Durchschlafen, ein schwaches Nervenkostüm und Vergesslichkeit bis hin zu Verspannungen oder erhöhtem Puls, Magen-Darm-Beschwerden oder Kopf- und Rückenschmerzen. Kommen dann noch Züge einer Depression wie Verlust an Empathie oder Atembeschwerden hinzu, können das ernste Warnzeichen für einen Burn-out sein. Und dann geht häufig nichts mehr.
„Um Risiken zu minimieren, ist es wichtig, mehrmals täglich zur Ruhe zu kommen und sich Freiräume zu schaffen“, so Thiesbürger. Sie rät, die eigene Situation bewusst einmal von außen zu bewerten. „Die Kür ist es, nicht lebenswichtige Dinge zu schieben und bei Bedarf liegen zu lassen.“ Es tue schon gut, mehrmals täglich kurz die Augen zu schließen und tief in den Bauch ein- und langsam auszuatmen. Thiesbürger: „Wer gestresst ist, holt meist flach Luft. Tiefe Atemzüge sind wichtig.“
Nicht immer das Handy checken
Kurze Auszeiten bringen dann einen großen Effekt, wenn sich die Gestressten nicht dauernd ablenken lassen – etwa durch das Smartphone. In der Freizeit hat der Chef in der Regel keinen Anspruch darauf, über den Mitarbeitenden verfügen zu können. Vor dem Einschlafen ist es meist nicht notwendig, noch einen Blick auf die Nachrichten zu werfen. Das Handy sollte nicht neben dem Bett liegen, höchstens vielleicht für Notfälle in der Familie.
Nach einer Studie des IT-Verbands Bitkom ist es aber für viele Nutzer schwierig, aufs Smartphone zu verzichten. Knapp die Hälfte derjenigen, die schon einmal eine bewusste Auszeit von digitalen Medien und dem Internet genommen haben, probierte dies erst ein einziges Mal aus. 53 Prozent hielten nur einige Stunden durch.
„Wir sind ständig abgelenkt, unkonzentriert und werden gestört“
Alexander Markowetz, Autor des Buchs „Digitaler Burnout“, hat festgestellt, dass sich die meisten Smartphone-Nutzer drei Stunden am Tag mit ihrem Gerät befassen und es 55-mal in die Hand nehmen. „Damit sind wir ständig abgelenkt, unkonzentriert und werden gestört“, so Markowetz. Er warnt davor, dass sich viele Smartphone-Liebhaber ein Verhalten antrainieren, „das ihre geistige Leistungsfähigkeit mindert“. Im Schnitt unterbrechen die meisten Nutzer alle 18 Minuten eine Tätigkeit, weil sie ihr Handy im Blick haben.
Per App eigenes Verhalten testen
Markowetz empfiehlt als ersten Schritt, das eigene Kommunikationsverhalten zu analysieren. Mit seinem Team bei Murmuras, einer Start-up-Ausgliederung der Uni Bonn, entwickelte er eine App, mit der Nutzer herausfinden, wann und wie lange sie online sind, was sie mit dem Handy anstellen, welche Apps sie häufig nutzen – und dies über einen längeren Zeitraum, sodass die Verhaltensmuster sichtbar werden.
Zudem rät Markowetz zu Yoga. „Diese Meditationstechnik wird allgemein unterschätzt“, erläutert er. „Aber wenn wir es über Jahre täglich eine halbe Stunde betreiben, stellt sich kumulativ eine positive Wirkung ein. Wir werden gesünder, körperlich wie geistig.“
Daniela Wagner, Inhaberin von Mindful Monkey Yoga in Bonn, bestätigt: „Wenn wir eine wirkungsvolle Stressprophylaxe in unser Leben integrieren wollen, ist Yoga eines der besten ganzheitlichen Systeme.“ Das geht auch ohne Yogamatte, direkt auf dem Bürostuhl. „Eine einfache Form ist die kombinierte Mantrameditation. Hierbei werden Aus- und Einatmung mit einer Silbe, einem Wort oder einem Mantra verbunden. So wird bei der Einatmung geistig das Wort ‚Ruhe‘, bei der Ausatmung das Wort ‚Gelassenheit‘ wiederholt“, erläutert Wagner.
Yoga geht auch im Büro
Ob Entspannung des Schulter-Nacken-Bereichs, Vor-zurück- oder Seitbeugen: „Ein vollständiges Yogaprogramm ist im Homeoffice oder in der Firma jederzeit möglich“, betont Wagner. Sie rät dazu, sich durch einen Aufkleber am Monitor an die Ruhepausen zu erinnern.
Natürlich können es auch andere Techniken wie autogenes Training oder Qigong sein. Wichtig ist, dass die Methode zu einem passt. Thiesbürger: „Entspannen muss man lernen.“ Meist benötigten Menschen zwei Monate, um eine Entspannungstechnik zu beherrschen und so den Stress abzubauen.
Tipps zum Abschalten
Schon kleinere Verhaltensänderungen können das Stresslevel senken.
- Digital Detox: Gönnen Sie sich Zeiten, in denen Sie das Smartphone ausschalten.
- Spaziergang: Statt fernzusehen, wirkt ein Spaziergang von 30 Minuten nach dem Essen entspannend. Ohnehin ist regelmäßige Bewegung an der frischen Luft wichtig.
- Kleine Ziele: Wer sich viel vornimmt, ist oft frustriert, wenn das Pensum nicht erledigt wurde. Das betrifft auch den Sport. Nicht gleich das ganze Programm anvisieren, sondern langsam steigern.
- Essenspausen: Die Familie sollte gemeinsam essen – und möglichst zu festen Zeiten. Essen darf ein Ritual sein.
- 30-Minuten-Auszeit: Homeoffice, Haushalt, Pflege oder Kinderbetreuung kosten Kraft. Eine halbe Stunde am Tag sollte man nichts tun.
- Ausschalten: elektrische Geräte etwa eine Stunde vor dem Schlafen abschalten.
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