Was tun, wenn die Lebensversicherung ausbezahlt wird oder unerwartet eine hohe Summe auf dem Konto landet? Anlage- und Verwendungsmöglichkeiten dafür gibt es viele. Woran man sich orientieren kann, um eine gute Entscheidung zu treffen.
Text: Thomas Luther
Chico im neuen Sportwagen, Chico mit teurer Uhr am Handgelenk, Chico beim Anzugkauf in einer Edel-Boutique: Vor fast zwei Jahren brachte es Kürsat Y. zu zweifelhaftem Ruhm in den Boulevardmedien. Der Dortmunder, den fast alle nur Chico rufen, hatte fast 10 Millionen Euro im Lotto gewonnen. In den Tagen danach ließ er Reporter und Gefolgschaft in den sozialen Medien daran teilhaben, wie er seinen Reichtum unters Volk brachte. Seinen Job als Stahlarbeiter kündigte er. Angesichts des Tempos, mit dem er sein Geld ausgab, wurden bald warnende Stimmen laut: Wenn er so weitermache, werde das Vermögen nicht lange reichen.
So weit ist es glücklicherweise bislang nicht gekommen. Es muss allerdings nicht unbedingt ein Lottogewinn sein, der gedanklich zur Last werden kann. Auch bei einer fälligen Lebensversicherung oder einem Erbe weicht die Freude oft einem Nachdenken: Was mache ich jetzt mit dem Geld? Wie soll ich es anlegen? Wem kann ich vertrauen?
Durchatmen und einen Plan machen
„Keine überstürzten Entscheidungen“, gibt Oliver Stüven, Leiter Vermögensanlage/Private Banking bei der Sparkasse zu Lübeck, allen Betroffenen mit auf den Weg. „Erst einmal alles sacken lassen. Und dann in Ruhe darüber nachdenken, ob und wie das Geld angelegt wird oder was man sonst damit machen möchte.“
Ein paar psychologische Tricks helfen zusätzlich – zum Beispiel, erst einmal weiter arbeiten zu gehen. So entsteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Außerdem beugt der gewohnte Tagesablauf der Gefahr vor, einen plötzlich ungewohnt leeren Alltag mit Spontankäufen füllen zu müssen. Man sollte sich zudem überlegen, wen man aus dem persönlichen Umfeld über die veränderte Vermögenssituation informiert. Wer allzu sorglos seinen neuen Reichtum offensiv nach außen zeigt, zieht schnell Neider und Abstauber an.
Realistische Ziele setzen
Sinnvollerweise sollte irgendwann der erste Besuch beim Sparkassenberater erfolgen. Vermögensexperte Stüven fragt im Gespräch als Erstes, welche Anlagevorstellungen bestehen. „Möglichst viel Ertrag soll die Anlage abwerfen, sicher sein, und über das Geld will man jederzeit verfügen können“, nennt er als häufigste Antwort. „In der Praxis ist das eine unerreichbare Wunschvorstellung. Ich stelle dann eine Gegenfrage: ‚Für welchen Zweck soll das Kapital angelegt werden?‘.“ Geld sei kein Selbstzweck, sondern ein Erfüllungsgehilfe bei der Umsetzung persönlicher Wünsche und Ziele.
„Sicherlich ist es wichtig, nach elementaren Punkten wie Renditevorstellungen, Anlagehorizont und Risikobereitschaft zu fragen“, ergänzt Charlotte Gerbracht, Beraterin im Private-Banking-Center der Sparkasse Neuss, „aber mindestens ebenso wichtig ist, sich ein Bild von der gesamten Einkommens- und Vermögenssituation des oder der Betroffenen zu machen.“
Beide erleben immer wieder, dass viele Menschen selbst mit 60 nicht wissen, mit welchen Einkünften sie im Ruhestand genau rechnen können. „Als Erstes sollte daher die Versorgungslücke ermittelt werden“, empfiehlt Gerbracht. „Damit ist klar, welcher monatliche Betrag zusätzlich zur gesetzlichen Rente und anderen Versorgungsleistungen wie etwa einer betrieblichen Altersvorsorge erforderlich ist, damit die Betroffenen im Alter so leben können, wie sie sich das vorstellen.“ Es sei zudem wenig sinnvoll, Geld an die eigenen Kinder zu verschenken, wenn man selbst nicht ausreichend fürs Alter vorgesorgt hat.
Eine Frage der Lebensführung
Der erste Schritt ist, bei einem schonungslosen Kassensturz alle bisherigen Einkünfte den Ausgaben gegenüberzustellen. Stüven und Gerbracht empfehlen unabhängig davon, die liquide Rücklage für unvorhergesehene Ausgaben aufzustocken. Sie kann zum Beispiel auf einem Tagesgeldkonto geparkt werden. Vorhandene Darlehen sollten zudem soweit möglich abgelöst werden.
Häufig kommt es dabei zur Belastungsprobe für das eigene Finanzkonzept. Soll zum Beispiel der gesamte Geldzufluss genutzt werden, um eine vorhandene Immobilie zu entschulden? Oder eher einen Teil des Kredits tilgen und den Rest anlegen? Andersherum lautet die Frage vielleicht: Wird das komplette Kapital als Eigenkapitalpolster genutzt, um den Traum von den eigenen vier Wänden zu realisieren?
„Die Antworten darauf zielen in direkter Weise auf die Kernfrage ab: Welche Vorstellungen habe ich von meinem Leben heute und in Zukunft?“, hebt Stüven hervor. Will man im Alter schulden- und mietfrei wohnen und auf der Bank im eigenen Garten sitzen? Oder möchte man finanziell abgesichert sein und lange Reisen unternehmen, in ein paar Jahren vielleicht sogar ins Ausland ziehen? „Dann ist es nicht unbedingt klug, alles Geld in eine Immobilie zu investieren, die ja auch unterhalten werden muss“, sagt Stüven.
Auf die Inflation achten
In all diese Überlegungen muss ein Faktor mit einkalkuliert werden, der in den vergangenen Jahren sprunghaft an Bedeutung gewonnen hat: die Inflation. „1500 Euro zum Beispiel, die ich als gesetzliche Rente in Aussicht habe oder die regelmäßig aus dem Vermögen entnommen werden sollen, haben in zehn oder zwanzig Jahren nur einen Bruchteil der Kaufkraft von heute“, warnt Stüven. „Daher sollte man von Anfang an darauf achten, die Vermögenssubstanz real zu erhalten.“
Eine langfristig rentable Anlage des Geldes in Wertpapieren ist für ihn daher das A und O. „Investitionen in Aktien und Aktienfonds, also Produktivvermögen, sind dabei erste Wahl“, bekräftigt er. Und die Kursschwankungen? „Die spielen bei einem langen Anlagehorizont von zehn Jahren und länger, über die zumindest ein Teil des Geldes angelegt wird, nahezu keine Rolle“, weiß er. „Dennoch sollte man wegen einer ausgewogenen Streuung andere Investments wie etwa sichere Zinsanlagen und gegebenenfalls Immobilien nicht aus den Augen verlieren.“
Wer vorsichtiger vorgehen will, kann über den Kauf von Rentenpunkten nachdenken. Ein Punkt bringt später aktuellen Zahlen der Rentenversicherung zufolge zusätzlich 37 Euro Rente pro Monat. „Im Ergebnis ist das eine Gleichung mit mehreren Variablen: dem persönlichen Lebensalter, dem Renteneintrittsalter und der individuellen Lebenserwartung“, erläutert Stüven. „Aber es sollte bedacht werden, dass ich nach dem Kauf keine Möglichkeit habe, über das Geld vorzeitig zu verfügen. Und Rentenansprüche können auch nur bedingt vererbt werden.“ Wer also seinen Nachkommen etwas hinterlassen möchte, sollte zusätzlich über andere Möglichkeiten nachdenken – eine Schenkung zum Beispiel.
Bei Stiftungen Folgepflichten beachten
Nicht immer geht es jedoch darum, nur für sich selbst und seine Familie finanziell zu sorgen. „Zu uns kommen häufiger Kundinnen und Kunden, die eine größere Erbschaft erhalten haben. Einen Teil davon wollen sie nutzen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben, indem sie eine Stiftung gründen, die zum Beispiel die Krebsforschung fördert“, berichtet Beraterin Gerbracht.
„In dem Fall holen wir interne und gegebenenfalls auch externe Spezialisten mit ins Boot. Denn eine Stiftung muss langfristig und professionell begleitet werden. Es muss jemand die Geschäfte führen, und auch das Stiftungskapital muss regelkonform angelegt werden. Zur Förderung des Stiftungszwecks dürfen schließlich nur die jährlichen Erträge verwendet werden.“
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