Das Angebot an Coworking-Spaces auf dem Land wächst. Jenseits der Metropolen zieht es vor allem Pendler und Homeoffice-Flüchtlinge in die Gemeinschaftsbüros. Was macht Coworking in ländlichen Gegenden so attraktiv?
Text: Stefanie Hutschenreuter
In Großstädten sind Coworking-Spaces mittlerweile zahlreich zu finden. Sich in einem solchen Gemeinschaftsbüro einzumieten, ist so normal geworden, dass es sogar eine Fernseh-Comedyserie gibt, die einen Coworking-Space zum Schauplatz hat: In „Start the fck up“ auf ZDF Neo arbeiten vor allem Start-up-Gründer und Influencer Seite an Seite. Ursprünglich waren es tatsächlich überwiegend Gründer und Freiberufler, die in Coworking-Spaces Anschluss an Gleichgesinnte suchten.
Heute nutzen die offenen Büros mit Internet, Telefon, Drucker und Kaffeemaschine auch gern Unternehmen, die sich abteilungsweise für ein paar Stunden oder Tage einmieten, um in neuer Umgebung kreativ zu sein. Seit der Pandemie sind es auch vermehrt Menschen, die von negativen Nebeneffekten des Homeoffice genervt sind und einen ruhigen Arbeitsort mit gutem Internetanschluss suchen – etwa weil es daheim zu laut ist oder weil man das Gefühl hat, zu vereinsamen.
Der ländliche Raum zieht nach
Der Bundesverband Coworking Spaces (BVCS) hat in seiner letzten Erhebung aus dem Jahr 2020 rund 1300 Coworking-Spaces in Deutschland gezählt. Die meisten befinden sich in den Metropolen. Doch ländliche Gemeinden holen auf. Zunehmend eröffnen Büros auch abseits der Städte – mit Erfolg. „Nicht wenige Beispiele im ländlichen Raum zeigen, dass auch kleine Spaces, mitunter kommunal betrieben, nach kurzer Zeit ausgebucht sind“, betont BVCS-Vorstand Tobias Kollewe.
Corona hat den Coworking-Boom auf dem Land nochmals verstärkt. Das mobile Arbeiten erlebt seit der Pandemie einen starken Aufschwung. Heute arbeiten weit mehr Menschen ortsungebunden als noch vor zwei Jahren. Viele von ihnen möchten auch gar nicht mehr vollständig zur Präsenzpflicht ins Büro zurückkehren. „Das ist für ländliche Coworking-Spaces natürlich klasse“, sagt Nicole Dau von der Genossenschaft Coworkland. „Die Menschen lernen, dass sie ihren Wohnort von ihrem Arbeitgeber entkoppeln können, und sind viel freier als zuvor. Dennoch müssen sie nicht die teilweise negativen Begleiterscheinungen des Homeoffice in Kauf nehmen und können im Coworking-Space Arbeitsleben und Privates voneinander trennen, ohne lange Pendelei.“
Für ein top ausgestattetes Büro, nur ein paar Schritte vom Wohnort entfernt, gibt man dann gern auch etwas Geld aus. Fern der Ballungsgebiete gibt es flexible Arbeitsplätze bereits für rund 100 Euro pro Monat – wesentlich günstiger als in Großstädten.
Vielfältige Zusatzangebote
Corona ist aber auch an den ländlichen Spaces nicht spurlos vorübergegangen. Abgesehen davon, dass sich vor allem zu Anfang manche Nutzer wegen des Ansteckungsrisikos nicht mehr in die Spaces trauten, sind vielen Betreibern auch wichtige Einnahmequellen wie Veranstaltungen weggebrochen.
Auf dem Land sind solche Zusatzangebote wie Workshops, Sportkurse, Filmabende oder Events für Anwohner in Coworking-Spaces häufiger zu finden. Das ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, dass sich die Nutzerklientel von der im urbanen Umfeld unterscheidet. „Im städtischen Kontext nutzen vor allem digital Arbeitende, also die klassischen ‚Schreibtischtäter‘, die Coworking-Spaces“, sagt Nicole Dau. Im Ländlichen sei das anders. Laut der Coworkland-Sprecherin finden sich dort auch Handwerker, Schauspieler, Musiker oder sogar Gärtner.
Je nach Zielgruppe, auf die die Spaces ausgerichtet sind, gehören neben einem Arbeitsplatz am Computer dann auch Werkstätten, Tonstudios, Testküchen oder Kunstateliers zum Angebot. Ein gutes Beispiel ist der Startblock im baden-württembergischen Lörrach, der im Obergeschoss moderne Office-Arbeitsplätze und im Erdgeschoss eine Werkstatt bereithält. Wer sich in die Gemeinschaftswerkfläche einbucht, darf den Coworking-Space im Obergeschoss mitnutzen. Coworker können die vorhandenen Basiswerkzeuge kostenlos verwenden und sich Spezialgeräte leihen, aber auch eigene Maschinen, beispielsweise für eine Prototypfertigung, auf einer individuell zu buchenden Fläche von bis zu 30 Quadratmetern Größe aufstellen.
Oft ein älteres Publikum
Auch hinsichtlich des Alters unterscheiden sich die Coworker auf dem Land von denen in Ballungsgebieten: Im Durchschnitt sind sie älter. Das liegt daran, dass „im ländlichen Raum eher Angestellte, die weniger pendeln wollen, Selbstständige im Nebenerwerb und Gründer im Rentenalter“ die Annehmlichkeiten eines Büros um die Ecke nutzten, wie BVCS-Vorstand Tobias Kollewe erklärt. In den Metropolen und Universitätsstädten fänden sich dagegen mehr Studierende, junge Gründerteams und Freelancer.
Speziell ländliche Coworking-Spaces tragen darüber hinaus durch weniger Pendelverkehr zum Klimaschutz bei. Außerdem können sie die Attraktivität von ländlichen Regionen steigern, die vielerorts unter Abwanderung und Überalterung leiden. Die Kommunen profitieren somit in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht.
Das sehen auch die Initiatoren eines neuen Coworking-Space in einer ehemaligen Bankfiliale in Simmerath in der Nordeifel so. Das Worqs Simmerath in der Nähe der Fußgängerzone ist ein Gemeinschaftsprojekt der Sparkasse Aachen, des regionalen Gewerbevereins und der Gemeinde Simmerath. Zum Jahreswechsel hat es seinen Betrieb aufgenommen. Auf insgesamt rund 300 Quadratmetern bietet es elf innovative Arbeitsplätze – inklusive einer Kaffee- und Wasserflatrate.
Urlaub im Coworking-Space
Nicht zuletzt punkten viele Coworking-Spaces abseits der Metropolen auch mit ihrer idyllischen Lage. Der Erholungswert ist größer, wenn man mit Blick ins Grüne arbeitet. Manche Anbieter nutzen dies ganz bewusst, indem sie Arbeitsplätze mit Urlaubsflair versprechen. Workation nennt sich die Kombination aus Arbeit (Work) und Freizeit (Vacation).
Im Coconat in Bad Belzig geht man diesen Weg. Der Gutshof mit Park und kleinem See – rund eine Autostunde von Berlin entfernt gelegen – hält digitale Arbeits- und Meetingplätze innen und außen bereit. Ideal, um kreativ zu arbeiten, sich mit anderen auszutauschen, sein Netzwerk zu erweitern oder einfach nur, um die Natur zu genießen. Wer möchte, kann übernachten und gleich mehrere Tage am Stück auf dem Gutshof verbringen.
Zusammen, aber getrennt – und kreativ
Im Coworking-Space arbeitet man nebeneinander, aber nicht miteinander.
Gemeinsam nutzen die Menschen in der Regel nur die Infrastruktur. Die offenen Büros bieten ein gut ausgestattetes Arbeitsumfeld, das konzentriertes Arbeiten ebenso ermöglicht wie soziale Kontakte. Die ersten Coworking-Spaces, die als solche bezeichnet wurden, eröffneten fast gleichzeitig 2005 in San Francisco und in Berlin.
Coworking hat einen großen Vorteil: Die Arbeit unter Menschen ist meist produktiver. Die richtig guten Ideen entstehen oft nur im direkten Austausch mit anderen. Das ist wissenschaftlich belegt. Zudem hat die Studie „Office Analytics“ des Fraunhofer IAO herausgefunden: Wer mindestens 10 Prozent seiner Arbeitszeit an verschiedenen Orten verbringt, entwickelt mehr Ideen als Menschen, die fast ausschließlich im Büro arbeiten.
Deshalb spielt bei der Gründung eines Coworking-Spaces bis heute auch der Gedanke, einen Ort zum gegenseitigen Unterstützen innerhalb einer Community zu schaffen, eine Rolle. Unterschiedliche Sichtweisen erweitern den Horizont, wenn beispielsweise ein Lektor mit einem Modedesigner und einem Bauingenieur eine Bürogemeinschaft bildet.