Ob Alten-WG, Hausgemeinschaft oder aktive Nachbarschaft: Wie man der Isolation im Ruhestand entgehen kann.
Text: Daniela Eckstein
Aufbruchstimmung macht sich unter den jungen Alten breit. Mehr und mehr Menschen ab 50 suchen nach neuen Wohnformen. Etwa wenn ihre Kinder flügge werden und das Familienhaus danach zu groß ist. Oder wenn sie in den Ruhestand wechseln. Verbringt man mehr Zeit in den eigenen vier Wänden, kann das sehr einsam sein. Viele beschäftigen sich mit der Frage, wer sich um sie kümmert, wenn sie gebrechlich werden, sie aber keine Angehörigen in der Nähe haben oder ihnen nicht zur Last fallen wollen.
Das Leben in klassischen Senioreneinrichtungen erscheint wenig reizvoll. So planen immer mehr Menschen selbst ihr Zusammenleben mit anderen, die nicht zur eigenen Familie zählen (siehe das Interview mit Henning Scherf).
Was in den 1980er-Jahren mit einer Jugendbewegung und in Studenten-WGs begann, ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Josef Bura, Vorsitzender des Forums Gemeinschaftliches Wohnen, schätzt die Zahl solcher Projekte in Deutschland auf 4000 bis 5000.
Viele Wohnmodelle
„Meist finden sich Gleichaltrige zusammen, um ein Wohnprojekt zu planen“, berichtet Bura. „Familien lernen sich im Kindergarten kennen, Ältere in der Kirchengemeinde oder in Vereinen.“ Gelegentlich mischen sich Jung und Alt und ziehen mit mehreren Generationen zusammen. Dann helfen Senioren bei der Betreuung der Kinder, während deren Eltern für die Rentner die Einkäufe erledigen. Unterschieden wird zudem zwischen Wohn- und Hausgemeinschaften. Während sich WG-Bewohner Küche und Bad teilen, hat in der Hausgemeinschaft jeder seine Wohnung. Für Gemeinschaftsaktivitäten gibt es meist einen Gruppenraum, oft auch Dachterrasse oder Garten.
Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist wesentlich. Josef Bura empfiehlt, mit dem Zusammenziehen nicht zu lange zu warten. Wer selbst ein Projekt gründen will, muss mit einer Menge Arbeit und etlichen Jahren Vorlauf rechnen, bis eine Immobilie gefunden oder gebaut ist. Sobald man gebrechlich ist, hat man nur noch geringe Chancen, Mitstreiter zu finden. Für stark Pflegebedürftige gibt es ambulant betreute Wohngruppen, die von Wohlfahrtsverbänden oder Angehörigen gemeinsam mit ambulanten Pflegediensten organisiert werden.
Gemeinsam bauen
Wer das Bauen selbst organisiert, spart sich einen Bauträger – und damit Geld. Dabei ist es nicht immer nötig, dass alle Bewohner große Summen investieren. Es gibt Gemeinschaften, in denen sowohl Eigentümer als auch Mieter leben. Viele starten mit einem Verein oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Manche wandeln die Wohnungen später in eine Wohnungseigentümergemeinschaft um – die aber vertraglich festlegt, dass bei einem Bewohnerwechsel alle entscheiden, wer als Nächstes einzieht. Alternativ gründet man eine Kleinstgenossenschaft oder sucht sich eine etablierte Wohnungsgenossenschaft als Träger. Schon wegen der rechtlichen Fragen ist es ratsam, professionelle Hilfe von einem Projektberater oder Baubegleiter in Anspruch zu nehmen.
Projekte gemeinschaftlichen Wohnens stärken oft den Zusammenhalt im Stadtteil. Viele Kommunen wissen das zu schätzen. Sie bieten Beratung und weisen Grundstücke für Baugruppen aus, die zu nachbarschaftlichem Engagement über die geplante Hausgemeinschaft hinaus bereit sind. Daneben gibt es Versuche, Stadtteile so zu organisieren, dass Senioren in ihren Wohnungen bleiben können, aber in die Ortsgemeinschaft integriert sind und zugleich gute ambulante Pflege erhalten.
Web-Tipps
Anlaufstellen und Beispiele für gemeinschaftliches Wohnen findet man im Internet.
- fgw-ev.de: Das Forum Gemeinschaftliches Wohnen bietet eine Projektbörse, Adressen regionaler Anlaufstellen und Beschreibungen gelungener Projekte. Im Auftrag des Familienministeriums baut es die bundesweite Informationsplattform für gemeinschaftliches Wohnen (WIN) auf.
- bielefelder-modell.de: Schon 1996 haben sich in Bielefeld die städtische Wohnungsgesellschaft, eine Wohnungsgenossenschaft und ein ambulanter Pflegedienst zusammengetan, um Menschen in ihren Wohnungen zu betreuen und aktive Nachbarschaften aufzubauen. 20 Projekte wurden inzwischen realisiert.
„Alter hat Zukunft“
Henning Scherf (83), früherer Bürgermeister Bremens, lebt seit 34 Jahren in einem Mehrgenerationenwohnhaus.
S-Quin: Herr Scherf, was raten Sie Menschen, die ein Wohnprojekt gründen wollen?
Scherf: Sie sollten vorher schauen, ob sie miteinander gut auskommen. Wir hatten einen vierjährigen Vorlauf und haben in dieser Zeit viel miteinander unternommen. Eingezogen sind wir dann zu zehnt: meine Frau und ich mit acht Freunden. Jede Partei hat im Haus eine eigene Wohnung – und das funktioniert bis heute wunderbar.
S-Quin: Haben Sie von Anfang an über Pflegebedürftigkeit und Sterben nachgedacht?
Scherf: Als ich einzog, war ich erst 49 Jahre alt. Klar war uns nur: Wir wollten hier nie wieder ausziehen. Aber den Tod schoben wir anfangs weit weg. Und dann wurde schon nach zwei Jahren eine Mitbewohnerin todkrank. Wir haben sie bis zuletzt betreut. So machen wir das heute noch: Wir übernehmen die Pflege unserer Mitbewohner selbst. Eine kostbare Erfahrung!
S-Quin: Ein klares Plädoyer für gemeinschaftliches Wohnen?
Scherf: Ich finde es großartig. Aber es gibt noch andere Alternativen zum Altenheim. Oft ziehen Senioren zu ihren Kindern oder Enkeln, und es funktioniert gut. Und ich kenne sogar 100-Jährige, die noch in der eigenen Wohnung leben und sich in der Nachbarschaft ein soziales Netzwerk aufgebaut haben. Hauptsache ist, man behält immer seinen Optimismus. Mein Credo lautet: Alter hat Zukunft!
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