Die Flötistin Anette Maiburg hob das Niederrhein Musikfestival aus der Taufe, um dem Publikum die Vielfalt der Musik unterschiedlicher Länder und Kulturen näherzubringen. Mit Erfolg. „Bei uns kann jeder etwas finden, mit dem er sich mit identifiziert und das zugleich die Ohren für Neues öffnet“, sagt die künstlerische Festivalleiterin im S-Quin-Interview. Auch in der diesjährigen Spielzeit, die am 18. August beginnt, gibt es wieder viel zu entdecken – unter anderem die Musik des Amazonas. „Sounds of Nature“ lautet das Motto des Festivals.
S-Quin: Wie feiern sie denn das zwanzigjährige Jubiläum Ihres Festivals?
Anette Maiburg: Unser Motto „Sounds of Nature“ ist für diesen Anlass ideal. Der Titel bezieht sich zum einen auf unsere wunderschönen Konzertorte, die in der niederrheinischen Natur eingebettet liegen und mit der Landschaft korrespondieren – zum Beispiel Schloss Dyck, die Stammenmühle in Nettetal und den Bauerngarten Tuppenhof in Kaarst. Und zum anderen auf das Thema Umweltschutz, das sich wie ein roter Faden durchs Programm zieht.
Umweltschutz und Klassik – wie passt das zusammen?
Das passt sehr gut! Ich möchte beispielhaft unsere Neuproduktion „Faszination Amazonas“ nennen, die wir am 24. August als Werkstattkonzert im Haus Katz in Jüchen aufführen und einen Tag später im Innenhof von Schloss Dyck. Dort geht es um den Regenwald und die Umstände, unter denen sich das indigene Leben und die Natur stark verändern. Oder das Konzert „Niederrheinische Impressionen – Naturklänge und Geschichten“ in der Stammenmühle. Die Schauspielerin Katja Heinrich und der Cellist Florian Hoheisel haben ein Programm aus musikalischen und literarischen Werken zusammengestellt, die sich poetisch und kritisch mit dem Zustand unseres Planeten auseinandersetzen.
Die Zahl der Konzerte ist etwas kleiner als 2023 – was ist der Grund?
Wir hatten ein großes Programm zum Jubiläum zusammengestellt, allerdings diesmal leider keine Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten. Leider wird die Konkurrenz um Fördermittel größer und die Kassen knapper – und oft kommen Förderzusagen recht spät. Wir sind dennoch zufrieden mit unserem Programm und freuen uns total auf das Festival. Zum Glück haben wir einige sehr treue Förderer – wie zum Beispiel die Stiftung Kulturpflege und Kulturförderung der Sparkasse Neuss, die in diesem Jahr für unser Jubiläum ihre Förderung erhöht hat! Auch die Sparkasse Mönchgladbach hat ihre Förderung aufgestockt. Dafür sind wir sehr dankbar.
Welche musikalischen Stilrichtungen stehen 2024 im Fokus des Festivals?
Wir sind breiter als sonst gefächert, da wir uns am zentralen Thema Natur orientieren. Die Musik reicht von Vivaldi und Kurt Weill bis Astor Piazzolla. Beim Konzert „Faszination Amazonas“ hören Sie brasilianischen Jazz und afro-peruanische Rhythmen, südamerikanische Barockmusik und traditionelle venezolanische Musik – und noch mehr! Dies ist ein großes Projekt mit zehn Künstlern. Neben sechs Musikern sind eine peruanische Tänzerin sowie ein brasilianischer Tänzer vom Düsseldorfer Ballett dabei. Auch die Schauspielerin Friederike von Krosigk wirkt mit, die schon oft bei unserem Festival dabei war und wunderbar Musik und Tanz mit Texten verbinden kann.
Was für Texte liest sie vor?
Unter anderem Texte des Brasilianers Ailton Krenak aus seinem Bestseller „Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen“. Er ist ein indigener, weltbekannter Aktivist, der auf die Situation der indigenen Bevölkerung und den Zustands der Natur in philosophischen Gedanken aufmerksam macht.
Das klingt sehr spannend.
Auch bei den anderen Konzerten gibt es eine interessante Mischung. Zum Beispiel bei unserem dritten Open-Air-Konzert „Eine musikalische Reise durch die Welt der Elemente“ mit dem sechsköpfigen Ensemble „Los Pipos“, das aus Lateinamerika und Europa stammt. Die Musik ist Latin Fusion und das Programm ist dem Umweltschutz gewidmet. In ihren Eigenkompositionen beschreibt Los Pipos Landschaften aus Lateinamerika und macht auf die problematische Situation der Natur aufmerksam. Das Konzert wird am 14. September im Bauerngarten des Tuppenhofes in Kaarst gespielt.
Für viele Zuhörer gibt es also wieder ganz neue Klänge auf dem Konzert.
Ja, und das ist auch immer sehr anspruchsvolle Musik! Leider wird viel davon bei uns schnell als Folklore oder Weltmusik abgetan – und dieser Name hat nicht immer den besten Ruf. Dass es sich aber um zum Teil hochkomplexe Musik mit sehr interessantem rhythmischen Hintergrund handelt, ist vielen nicht klar. Mir ist sehr wichtig, diese Musik zu spielen und zu zeigen, dass es auch jenseits der westeuropäischen Klassik sehr interessante musikalische Entwicklungen in anderen Teilen der Welt gab und gibt, die wir nicht genug schätzen, weil wir uns damit noch nicht beschäftigt haben.
Aber Weltmusik hat doch ein breites Publikum, oder?
Da muss man differenzieren. Reine Weltmusikfestivals sind beliebt, aber anders sieht es leider im Klassikbereich aus – vielleicht mit der Ausnahme von Kompositionen für Gitarre. Ich möchte Respekt für die Musik aus Regionen schaffen, die wir nicht im Klassik-Standardprogramm haben. Als Musikstudentin habe ich Musiker vieler Länder kennengelernt; wenn ich sie gefragt habe, was es bei ihnen für Musik gibt, leuchteten ihre Augen und sie fingen an zu erzählen. Aus dieser Neugier auf die Musik anderer Länder heraus entstand letztlich unser Festival.
Haben Sie das Gefühl, in den 20 Jahren Ihres Festivals etwas bewegt zu haben?
Auf jeden Fall! Unser Publikum liebt unsere Programme, gerade die Neuproduktionen. Mir ist es wichtig für die Menschen unserer Region, dass sich jeder durch unsere Programme eingeladen fühlt, ob jung oder alt, Klassik- oder Jazz-Fan, und dass jeder etwas finden kann, mit dem er sich identifiziert und zugleich die Ohren für Neues öffnet.
Zu der Erfolgsformel Ihres Festivals gehören neben der Musik auch Schauspiel, Tanz und Lesungen. Wie setzen Sie das in diesem Jahr um?
Das bietet sich gerade beim diesjährigen Thema sehr an. Nur zwei Beispiele: Bei unserem ersten Konzert „Diálogos de amor“, einem Konzert für Flöte und Bandoneon, ist die Tänzerin Norma Magalhães dabei. Bei „Faszination Amazonas“ ist der Dreiklang aus Musik, Tanz und Literatur besonders stark, denn hier sind eine Tänzerin und ein Tänzer, eine Choreografin und eine Schauspielerin involviert. Einige Konzerte sind fast schon kleine Theateraufführungen. Mir macht es zum Beispiel jedes Jahr sehr viel Spaß, mit unseren Tänzern zusammenzuarbeiten. Einige von ihnen sind beim Düsseldorfer Ballett engagiert – das sind wunderbare, unglaublich engagierte Menschen.
Das Festival entsteht ja immer in Zusammenarbeit oder im Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern. Welche Impulse haben Sie diesmal besonders beeindruckt?
Da das Amazonas-Projekt eine Neuproduktion ist, kommt der meiste Input von den Künstlern selbst. Ich habe zum Beispiel den Gitarristen Juan Carlos Navarro aus Peru, der mittlerweile in Deutschland lebt, eingeladen und ihm gesagt, dass es schön wäre, wenn wir die indigene Musik im Programm darstellen könnten. Er sagte mir, dass er sich nicht so gut mit der Musik des Amazonas auskenne, aber fuhr wegen des Konzerts extra in die Region und informierte sich vor Ort. Das ist Einsatz!
Passend zum 20-jährigen Jubiläum ist auch, dass einige alte Bekannte mitwirken. Zum Beispiel der Harfenist Emmanuel Ceysson.
Genau. Emmanuel Ceysson ist bei unserem Publikum sehr beliebt. Wir sind schon lange befreundet, seit er Soloharfenist an der Pariser Oper war. Vor acht Jahren ist er in die USA gegangen und ist heute Harfenist des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Ich freue mich sehr, dass er uns zum Jubiläum zugesagt hat, denn er hat immer sehr, sehr viele Anfragen aus der ganzen Welt.
Welche anderen Gäste aus den ersten 20 Jahren sind dabei?
Mehrere! Ich brauche immer ein stabiles Fundament, um auch neue Musiker einbinden zu können. Beim Konzert „Faszination Amazonas“ freue ich mich ganz besonders auf Roland Peil. Er ist fester Percussionist der „Fantastischen 4“ und nicht nur ein toller Schlagzeuger, sondern bringt auch immer weitere Instrumente mit. Diesmal zum Beispiel ein Berimbau, ein Musikbogen aus dem Nordosten Brasiliens mit ganz besonderem Klang. Roland Peil ist ein totaler Publikumsmagnet, wenn er auf der Bühne steht. Apropos Instrumente: Bei diesem Konzert ist mit Cruz Marin ein Musiker dabei, der eine Cuatro Venezolano spielt. Das ist eine vierseitige Gitarre und das wichtigste Instrument aus Venezuela. Cruz Marin ist eigentlich Ingenieur, hat in Deutschland studiert und lebt bei Köln. Er spielt die Cuatro Venezolano mit Leidenschaft und Liebe. Wenn ich Musik aus Venezuela im Programm habe, lade ich ihn immer ein.
Für viele Zuhörer ist diese sehr vielfältige Musik aus Lateinamerika sicher ungewohnt. Ist sie schwierig für unser Hörverständnis?
Im Gegenteil. Diese Musik macht einfach Freude. Die Quatro Venezolano zum Beispiel bringt mich sofort nach Venezuela. Durch sie erschließt sich einem sofort die Musik. Und die ist sehr interessant, da es viele ungerade Taktzeiten in der venezolanischen Musik gibt – etwa Fünfachtel- oder Siebenachteltakt. Das sind sehr komplexe Rhythmen, aber beim Hören fällt uns das kaum auf.
Es gibt auch dieses Jahr wieder ein Begleitprogramm aus Musikvermittlung, Workshops und digitalem Konzertsaal. Unter anderem machen Sie auch Kinderworkshops mit Achtklässlern an vier Schulen, bei denen auch das Thema Umweltschutz eine große Rolle spielt.
Genau, wir gehen mit unserem Amazonasprojekt in vier Schulen. Alle Musiker sind dabei und auch Friederike von Krosigk mit ihrer Lesung. Neben dem Thema Umweltschutz wollen wir aber vor allem auch die Freude an dieser Kunst aus diesen Ländern, an der Musik vermitteln.
Haben Sie schon Ideen für die nächsten 20 Jahre? Was würden Sie gerne tun?
Jedes Jahr denke ich: „Das war jetzt schön. Hoffentlich gelingt es uns nächstes Jahr wieder, eine so interessante neue Version des Festivals zu gestalten“. Und es klappt immer wieder. Ich lerne auch ständig neue Ensembles kennen, die ich in meine Projekte einbeziehen oder einladen kann. Es geht einfach von selbst weiter, da wundere ich mich manchmal selbst. Das Thema unseres Festivals ist zum Glück so groß, wir können noch viele Länder und Regionen vorstellen. Die nächste Saison habe ich schon im Kopf.
Was ist denn das Schwerpunktthema für 2025?
Klang und Geschichten – eine Saison der kreativen Begegnung. Eine neue Produktion wird sich zum Beispiel mit dem Buch „Into the Wild“ beschäftigen, das auch erfolgreich verfilmt wurde. Es ist die wahre Geschichte eines jungen Menschen, der den Sinn des Lebens sucht und nach Alaska geht. Dabei spielen die Themen Identifikation und Selbstfindung eine große Rolle. Wir schlagen also mal wieder eine ganz andere Richtung ein. Es wird aber auch Arrangements zu den Beatles geben oder auch englische Musik in Kombination mit Shakespeare. Auch das wird wieder sehr spannend!
So erhalten Sie Tickets
Alle Informationen zum Programm und den Tickets erhalten Sie über www.niederrhein-musikfestival.de – oder sichern Sie sich ein 3er-Abo zum Sonderpreis von 66 Euro direkt unter reservierung@niederrhein-musikfestival.de. Im Dreier-Abonnement sind folgende Konzerte enthalten:
- 08.2024, 18 Uhr, Schloss Dyck, Jüchen: „Diálogos de amor – Musikalische Liebesdialoge“
- 09.2024, 19:30 Uhr, Bauerngarten Tuppenhof, Kaarst: „Eine musikalische Reise durch die Welt der Elemente“
- 09.2022, 19 Uhr, Kirche Wickrathberg, Mönchengladbach: „Voyages Naturels – Naturimpressionen für Flöte und Harfe“
Mehr zum Festival: https://s-quin-magazin.de/niederrhein-musikfestival-2024/
Mit S-Quin Tickets gewinnen
S-Quin verlost 5 x 2 Freikarten für den Eröffnungsabend am 18. August, 18 Uhr, auf Schloss Dyck. Das Gewinnspiel und die Teilnahmebedingungen finden Sie auf www.s-quin.de. Teilnahmeschluss: 20.06.2024.