Das 34. Festival Alte Musik Knechtsteden findet dieses Jahr vom 20. bis 27. September in Dormagen und Umgebung statt. In dieser Saison zieht es zu Ehren des Neapolitaners Alessandro Scarlatti unter dem Motto „Napoli“ in südliche Gefilde. Zudem gibt es wieder eine „Movimento“-Radtour am 7. September. S-Quin-Kunden können mit etwas Glück Tickets gewinnen – mehr dazu am Ende des Artikels. Im Interview erläutert Festivalleiter Michael Rathmann, worauf sich die Besucher freuen können.
Interview: Gunnar Erth

Das Motto lautet „Napoli!“ in diesem Jahr. Warum haben Sie das Thema gewählt?
Neapel war der musikalische Hotspot des Barock, mit vier Konservatorien, vielen großen Komponisten vor Ort und Musikern aus ganz Europa, die diesen Sehnsuchtsort immer wieder heimsuchten. Von hier aus trat die so genannte „neapolitanische Schule“ ihren Siegeszug durch Europa an und revolutionierte die Musikwelt. Einer ihrer Wegbereiter war der Komponist Alessandro Scarlatti, dessen Todestag sich 2025 zum 300. Mal jährt. Aus diesem Anlass – und weil unsere Artist in Residence Dorothee Oberlinger seit Jahren maßgeblich zur Renaissance des Komponisten beiträgt – widmen wir uns in diesem Jahr seiner Wahlheimat Neapel. Und es gibt noch weitere Anknüpfungspunkte.
Was meinen Sie?
Einige Beispiele: Wir werfen einen Blick auf den Einfluss der neapolitanischen Schule auf die Musikzentren Europas. So hatte Scarlatti die neuesten musikalischen Moden mit im Gepäck an den Tiber geholt und inspirierte damit den jungen Händel in Rom zu fantastischer Vokalmusik. Solche subtilen Querverbindungen greifen wir in unseren Programmen immer wieder auf. Auch im Instrumentenbau wurden im Schatten des Vesuvs neue Maßstäbe gesetzt. So setzen wir Neapel als Hauptstadt der Mandoline ein klingendes Denkmal oder widmen einen ganzen Abend der „Arpa Doppia“, einer Doppelharfe, die als „Lira del Ciel“ von hier aus zum Exportschlager bis in die Neue Welt geriet.
Das Eröffnungskonzert von Francesco Conti ist ein wiederentdecktes Oratorium. Auch das klingt nach einer spannenden Geschichte…
Das stimmt! Herzog Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen hat nach 1720 eine Art Spiegelbibliothek mit bedeutenden Werken Wiener Provenienz angelegt, um sie an seinem eigenen Hof in Meiningen aufführen zu können. Alice Lackner, eine Kollegin von Dorothee Oberlinger, entdeckte in dieser umfangreichen Sammlung die Noten von „La Colpa“, einem Oratorium von Francesco Conti, der zwar nicht in Neapel tätig war, aber viele Impulse von dort aufgenommen hat. Das Werk kommt nun in einer Festivalkooperation mit dem „Güldenen Herbst“ zur Aufführung. Aber das war gar nicht so einfach!

Wieso?
Die Partitur ist handgeschrieben, einige Stücke liegen auch nur in Einzelstimmen vor. Das erfordert viel Abstraktionsvermögen, denn man muss sich bei der Rekonstruktion des Notentextes vorstellen, wie das Werk klingt und wie es instrumentiert werden muss. Es liegt ja keine Tonaufnahme aus der Vergangenheit zum Vergleichen vor. Daher müssen Quellen gesichtet und Abschriften verglichen werden, eine wahre Detektivarbeit. An der musikwissenschaftlichen Aufarbeitung waren mehrere Wissenschaftler beteiligt. So wird „La Colpa“ nach jahrhundertelangem Bibliotheksschlaf mit viel Enthusiasmus am 20. September erstmal wieder in Knechtsteden hörbar.
Wie viel Scarlatti selbst steckt denn im Festivalprogramm?
Sehr viel. Am 22. September dreht sich ein ganzer Abend um den Komponisten und wir geben spannende Einblicke in das „Universo Alessandro Scarlatti“. Scarlatti war ein musikalischer Influencer, der für jede Gattung Werke geschrieben hat – von der Oper bis zum Oratorium. Wir sind froh, dass wir für dieses Konzert den Sopranisten Bruno de Sá gewinnen konnten, der weltweit für seinen Gesang gefeiert wird – ähnlich wie damals der göttliche Farinelli. Im Festivalfinale am 27. September stehen dann mit Scarlattis „Messa di S. Cecilia“ und Händels virtuoser Psalmvertonung „Dixit Dominus“ zwei Meisterwerke italienischer Kirchenmusik auf dem Programm – aufgeführt von unserem Haus-und-Hof-Ensemble, der Rheinischen Kantorei.

Welche anderen führenden Komponisten der neapolitanischen Schule werden gespielt?
Neben Scarlatti und Conti spielen wir auch Werke von Giovanni Battista Pergolesi und Tommaso Traetta. Pergolesi ist mit nur 26 Jahren in einem Kloster vor den Toren von Neapel gestorben und hat quasi mit den letzten Atemzügen sein unübertroffenes Stabat Mater komponiert, ein Werk, das ganze Komponistengenerationen bis heute inspiriert. In Knechtsteden kommt es in einer Bearbeitung eines englischen Zeitgenossen Benjamin Cooke auf die Bühne. Ihm stellen wir das majestätische Stabat Mater von Traetta gegenüber.
Insgesamt ist der musikalische Zeitraum, den das Festival abdeckt, deutlich enger als in den letzten Jahren, oder?
So ist es. Haben wir in den vorhergehenden Jahren meist eine Zeitspanne vom Mittelalter bis in die Gegenwart präsentiert, ist der Zeitkorridor in diesem Jahr deutlich enger. Darin liegt aber auch der besondere Reiz. Unser Programm bewegt sich zwischen den Jahren 1510 bis 1810 und ist auch geografisch eindeutig verortet. Für ein Festival, das sich dem Originalklang und der historischen Aufführungspraxis verschrieben hat, sind gerade diese drei Jahrhunderte in Neapel eine wahre Fundgrube.
Sie hatten erwähnt, dass es auch ein Mandolinenkonzert gibt?
Ja! Mit Artemandoline haben wir am 21. September ein Ensemble bei unserer Landpartie zu Gast, das sich ganz auf das historische Mandolinenspiel spezialisiert hat – absolut einmalig in der europäischen Musikwelt! Zusammen mit der Sopranistin Nuria Rial gibt das Zupforchester einen bunten Mix aus neapolitanischen Volksliedern und virtuosen Concerti zum Besten.

Können Sie erläutern, was die Landpartie für ein Format ist?
Die Landpartie ist ein Konzert in lockererem Rahmen, im sogenannten Bullenstall auf dem Klostergelände Knechtsteden. Das Ambiente ist rustikaler und lädt zum gemütlichen Beisammensein ein – es gibt dann auch Kaffee und Kuchen davor! Das Konzert hat zudem eher weltlicheren und ungezwungeneren Charakter. Insgesamt ist es ein schöner, harmonischer Sonntagnachmittag.
Dann gibt es noch die Romanische Nacht. Was ist das?
Die Romanische Nacht am 26. September steht in der Tradition der Gregorianischen Nacht. Der Name passt besser zum Konzertprogramm mit der Musik von Diego Ortiz – und übrigens auch wunderbar zur romanischen Architektur unserer Basilika. Ortiz war ein spanischer Komponist, der im Zuge der politischen Vereinnahmung Neapels durch das spanische Königshaus als Hofkapellmeister nach Neapel kam. Er hat fantastische Kompositionen verfasst, die aber epochal eher am Ende der Renaissance verortet sind. Das wird ein klanglich sehr facettenreiches Konzert mit Vokalensemble und außergewöhnlichen Instrumenten, wie etwa dem Serpent, einem historischen Blechblasinstrument, sowie verschiedenen Lautentypen.
Wir können nicht alle Konzerte im Detail vorstellen. Aber gibt es eins, das man auf keinen Fall verpassen sollte?
Das Salonkonzert „Lady Hamilton“ am 23. September im Kreismuseum Zons finde ich persönlich sehr reizvoll. Dann sind wir auf unserer Zeitreise durch Neapel schon im frühen 19. Jahrhundert angekommen. Heute würde man sagen: Lady Hamilton war ein It-Girl. Sie gehörte zu den meistportraitierten Frauen ihrer Zeit und war mit ihrem skandalträchtigen Leben Gesprächsthema Nummer 1 in der High Society. Komponisten wie Hadyn und Vanhall schrieben ihr Werke auf den Leib. Als Künstlerin schuf sie mit ihren „Lebendigen Bildern“ sogar ein ganz eigenes Genre. Dabei wurden mythologische Szenen oder historische Ereignisse nachgestellt – mit passender Kleidung und Pose. Diesem extravaganten Leben spüren wir in einer halbszenischen Aufführung nach.

Bei den Ensembles und Interpreten ist wieder das Residenzensemble Rheinische Kantorei prominent dabei – aber auch mit zwei Konzerten ein neuer Name: Concerto Köln. Wer ist das?
Concerto Köln gehört zu den renommiertesten Barockorchestern im deutschsprachigen Raum. Sie sind seit über 40 Jahren weltweit aktiv. Der Name ist für uns aber nicht neu – wir haben schon in der Vergangenheit gemeinsame Projekte gemacht.
Letztes Jahr war das erste ohne den Gründer Hermann Max. Wie hat sich das Festival entwickelt oder verändert?
Ich war positiv überrascht und bin dankbar, wie gut der Übergang gelungen ist. Unser Publikum ist nach wie vor sehr neugierig auf das Festival. Und mit Dorothee Oberlinger als Artist-in-Residence haben wir eine fantastische Künstlerin in Nachfolge von Hermann Max gewinnen können, die auch neue Publikumsschichten angezogen hat. Dadurch ist die Strahlkraft des Festivals nochmals gewachsen. Es gab aber auch Kontinuität, etwa in Person von Edzard Burchards, der die Leitung der Rheinischen Kantorei übernommen hat und ihr schon seit über 20 Jahren eng verbunden ist. Dadurch hatten wir keinen Bruch, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung und Neuorientierung. Es sind auch viele neue Künstlerinnen und Künstler hinzugekommen, die unseren Festivalkosmos bereichern. Was gilt ist unser Qualitätsversprechen. Was wir machen, hat immer Hand und Fuß. Ich bin froh, dass Dorothee Oberlinger auch 2026 als Artist-in-Residence wieder mit von der Partie ist.

Eine neue Ausgabe von „Movimento – Die musikalische Radtour“ am 7. September an Erft und Niers ist auch wieder dabei. Gibt es diesmal nur eine Tour?
So ist es. Letztes Jahr hatten wir zwei Touren, aber eben auch einen Kooperationspartner mit dem Musikfestival Shalom Musik aus Köln. Eine solche Tagesveranstaltung ist sowohl finanziell als auch organisatorisch sehr, sehr aufwendig. Das können wir allein nur einmal leisten.
Das Konzept ist gleich? Man fährt mit dem Rad zu kleinen Konzerten, die an schönen Schauplätzen mehrfach gespielt werden, sodass man sich die Fahrt selbst einteilen kann?
Das Erfolgsrezept bleibt unverändert. Es gibt eine vorgegebene Route und ausgewählte Orte rechts und links der Strecke, an denen wir in gewissen Timeslots Konzerte anbieten. Das hat sich über die letzten Jahre bewährt. Dieses Mal sind wir im Rhein-Kreis Neuss unterwegs bis hin nach Mönchengladbach. Das Spektrum der Schauplätze für unsere Stopps hat sich dadurch verändert – und es lohnt sich wirklich teilzunehmen! Man kann immer sehr viel dabei entdecken – musikalisch und geographisch.
Machen Sie im Rahmen des Festivals auch wieder Musikvermittlung?
Ja, aber etwas unter dem Radar. Mit den Schülerinnen und Schülern der Christoph-Rensing-Schule haben wir uns Mozarts „Zauberflöte“ erarbeitet. Wir haben daraus eine abgespeckte kleine Schulaufführung gemacht. Musikalisch haben wir uns Freiheiten genommen – denn ein 7-jähriges Kind kann natürlich nicht die Arien der Königin der Nacht singen. Dafür ist dann auch mal ein Rap dabei. Für 2026 arbeiten wir dann an einem etwas größeren Kinderoper-Konzept. In diesem Jahr können wir auch wegen des Kostendrucks leider nicht mehr machen. Das eigentliche Festival hat aber denselben Umfang wie im vergangenen Jahr.

Apropos Finanzen: Die Sparkasse Neuss und die Stiftung Kulturpflege und Kulturförderung der Sparkasse Neuss sind auch wieder als Förderer dabei. Welche Bedeutung haben sie für Ihr Festival?
Das ist gewissermaßen unsere Lebensversicherung. Die Sparkasse Neuss gehört zu unseren größten Förderern, ohne sie wäre das Festival in dieser Art und Weise nicht möglich.
Das Programm im Überblick
- Samstag, 20.09., 19 Uhr: Eröffnungskonzert „La Colpa Originale“. Oratorium für fünf Vokalsolisten und Orchester von Francesco Conti (1682-1732). Klosterbasilika Knechtsteden
- Sonntag, 21.09., 15 Uhr. Landpartie „Arte Mandoline“. Bullenstall Knechtsteden
- Montag, 22.09., 20 Uhr: „Universo Alessandro Scarlatti“. Klosterbasilika Knechtsteden
- Dienstag, 23.09., 20 Uhr. Salonkonzert „Lady Hamilton“. Kreismuseum Zons
- Mittwoch, 24.09., 20 Uhr: „La Lira del Ciel“. Schloss Arff
- Donnerstag, 25.09., 20 Uhr: „Stabat mater – Pergolesi & Traetta“. Klosterbasilika Knechtsteden
- Freitag, 26.09., 20 Uhr: „Romanische Nacht – Kaleidoskop Diego Ortiz“. Klosterbasilika Knechtsteden
- Samstag, 27.09., 20 Uhr: „Händel & Scarlatti in Rom“. Klosterbasilika Knechtsteden
Das detaillierte Gesamtprogramm finden Sie unter www.knechtsteden.com.
Mit S-Quin Tickets gewinnen
S-Quin verlost jeweils 2 x 2 Freikarten für das Konzert „Lady Hamilton“ am 23. September im Kreismuseum Zons und für die für die „Romanische Nacht“ am 26. September in der Klosterbasilika Knechtsteden. Das Gewinnspiel und die Teilnahmebedingungen finden Sie in der S-Vorteilswelt von S-Quin sowie unter diesem Link. Teilnahmeschluss: 15. August 2025.
Titelfoto: Johannes Ritter