Ein Platz an der Sonne – dank flexiblem Arbeiten

Mitarbeitende wollen flexible Arbeitsmodelle. Unternehmen reagieren mit entsprechenden Angeboten. Wie viel Work-Life-Balance Beschäftigte heute erwarten dürfen.

Text: Eva Neuthinger

Corinna Karl und ihr Freund Jan Müller (Namen geändert) träumen seit Beginn der Pandemie von einer langen Reise im Wohnmobil durch Europa. In diesem Sommer soll es endlich losgehen. „Wir haben unsere Arbeitgeber gefragt, ob wir zwei Monate oder länger aus dem Koffer leben und vom Ausland aus tätig sein können“, sagt Karl. Da beide ohnehin zumeist im Homeoffice arbeiten, ist das technisch kein Problem. „Wir haben das Okay. Jetzt sind wir gedanklich schon dabei, unsere Sachen zu packen“, ergänzt Müller.

Das Paar gehört zu einer stetig wachsenden Gruppe, die ihre Work-Life-Balance optimieren will. Viele Berufstätige bevorzugen flexible Arbeitsformen, die sowohl auf mobiles Arbeiten als auch auf reduzierte Arbeitszeiten setzen. „Kaum ein anderer Lebensbereich hat sich zuletzt so rasant gewandelt wie die Arbeitswelt. In der Pandemie sind von heute auf morgen Millionen Erwerbstätige ins Homeoffice gewechselt – und viele möchten daran festhalten“, betont Achim Berg, Präsident des Branchenverbands Bitkom in Berlin.

So ergab eine Bitkom-Studie 2022, dass rund 63 Prozent der Beschäftigten ausschließlich oder überwiegend im Homeoffice tätig sein wollen. 59 Prozent gaben sogar an, gern von der Ferienwohnung aus ihrem Job nachgehen zu wollen (siehe Grafik).

Die Arbeitsformen der Zukunft

„Mobiles Arbeiten ist die Arbeitsform der Zukunft“, sagt Thomas Sajdak, Geschäftsführer des Instituts Sajdak-Training und Autor des Buchs „Kein Bock auf Hierarchie“. Der Experte beobachtet seit Jahren ein steigendes Interesse der Mitarbeitenden und weiß: „Vor allem die junge Generation versteht sich als digitale Nomaden. Für sie ist zum Beispiel auch Workation, also das Arbeiten vom Ausland aus, äußerst interessant.“

Viele Arbeitnehmer haben darüber hinaus den Wunsch, nur noch vier statt fünf Tage in der Woche zu arbeiten. Erste Studien kommen zu guten Ergebnissen. So wurde zuletzt häufig ein Projekt im Auftrag der Organisation 4 Day Week Global in den Medien zitiert. In 33 Unternehmen aus 6 Ländern arbeiteten die Beschäftigten in einer Testphase an 4 Tagen insgesamt 32 Stunden. Sie erzielten dabei laut der Untersuchung einen Output wie bei einer Fünftagewoche. Und: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren weniger krank und fühlten sich auch noch besser.

Solche Programme laufen auch hierzulande bereits in einigen Unternehmen, sogar im Mittelstand. So führte 2022 die Firma Dr. Eberhardt GmbH im Saale-Holzland-Kreis die Viertagewoche ein – bei vollem Lohnausgleich. Die Beschäftigten kommen nun für je neun Stunden von Montag bis Donnerstag in die Firma. Als Nebeneffekt spart der Betrieb Strom und Energie; schließlich ist am Freitag alles heruntergefahren.

Kultur des Vertrauens gefragt

Flexibel zeigt sich die Deutsche Kreditbank in Berlin, eine Tochtergesellschaft der Bayern LB. Für bis zu 30 Tage im Jahr ist es den Mitarbeitenden erlaubt, vom EU-Ausland sowie von Liechtenstein, Island oder Norwegen aus ihren Job zu erledigen. Zudem bleibt es jedem selbst überlassen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten gearbeitet wird. Kernarbeitszeiten gibt es nicht mehr, wenngleich zumindest eine Regelarbeitszeit zwischen 7 und 21 Uhr eingehalten werden muss. Im Team müssen sich alle abstimmen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.

„Die neuen Arbeitsformen setzen eine Kultur des Vertrauens voraus“

Dem Personal kommen solche Modelle gut zupass. Experte Sajdak sieht allerdings ein Problem: „Die neuen Arbeitsformen setzen eine Kultur des Vertrauens voraus. Wenn ein Arbeitgeber glaubt, die Leistung in jeder Arbeitsminute kontrollieren zu müssen, wird es sehr schwierig.“ Denn dann sinken oft Motivation und Arbeitsleistung.

Der Trainer rät, im Vorfeld mit dem Chef Vereinbarungen zu treffen. So können Termine gesetzt werden, bis wann eine Aufgabe zu erledigen ist. Möglicherweise lässt sich die Leistung anhand von Kennzahlen messen. Oder man verständigt sich auf einen Stichtag, bis zu dem Projekte abzuschließen sind. Sajdak: „Damit wissen beide Seiten, welche Erwartungen zu erfüllen sind.“

Solche Verabredungen sind auch wichtig, um sich als Arbeitnehmer vor zu viel Arbeit zu schützen. Wer nicht mehr jeden Tag ins Büro geht, bestimmt seinen Feierabend selbst. Man kommt automatisch in die Versuchung, noch schnell etwas fertig zu machen, was bis zum nächsten Tag warten könnte. „Viele Mitarbeitende, die remote arbeiten, fühlen sich am Ende für alles verantwortlich – sowohl für die Familie als auch dafür, möglichst perfekt im Job zu sein“, so Sajdak. Die Trennung von Privat und Beruf fällt ihnen schwerer, weil die Bereiche verschmelzen.

Arbeit im Großraumbüro passt heute nicht mehr zur Lebenswirklichkeit vieler Berufstätiger.

Flexible Konzepte fürs Personal

Wie sehr das stressen kann, zeigte sich schon während der Pandemie, als die Kinder daheim zu betreuen waren. Betroffen sind aber insbesondere auch Erwerbstätige, die zu Hause arbeiten und Angehörige pflegen. „Die Firmen beginnen gerade, auch für sie flexible Konzepte zu entwickeln. Diese Mitarbeitenden brauchen Freiräume, um den Spagat zwischen Pflege und Arbeit meistern zu können“, sagt Sajdak.

„Es ist legitim, das Interesse an Modellen wie Remote Work oder Workation offen anzusprechen“

Und zwar oft über den gesetzlichen Anspruch hinaus. Seit 2015 können Pflegepersonen zwar bis zu zehn Tage kurzfristig von der Arbeit fernbleiben; sie können sich auch bis zu drei Monate für die Begleitung in der letzten Lebensphase eines Angehörigen freistellen lassen. Allerdings hilft dies nur begrenzt. Eltern, der Partner oder Kinder müssen oft mehrere Jahre gepflegt werden. Die Betroffenen können aber häufig ihre Arbeitszeit nicht langfristig reduzieren, weil sie das Geld benötigen. Deshalb helfen auch hier Arbeitsmodelle, die Remote Work oder kurzfristig reduzierte Arbeitszeiten erlauben.

Bereits heute wollen viele ihr Leben nicht mehr dem Job unterordnen. „Seit einiger Zeit beobachten wir das Phänomen des Quiet Quittings. Man geht zwar mit hoher Leistungsbereitschaft zur Arbeit, ist aber nicht mehr bereit, eine Überstunde nach der anderen zu machen“, so Sajdak. Immer mehr Firmen bieten daher Lösungen, um ihre Arbeitnehmer zu motivieren. Sajdak: „Es ist legitim, das Interesse an einem flexiblen Arbeitsmodell wie Remote Work oder Workation offen anzusprechen und zu fragen, unter welchen Bedingungen eine neue Arbeitsform in der Abteilung vorstellbar wäre.“


Schöne neue Arbeitswelt

Von Work-Life-Balance bis Work-Life-Blending: die wichtigsten Begriffe rund um New Work.

  • New Work: Statt im Büro sitzt man am Schreibtisch zu Hause, im Café, Wohnmobil oder wo man will.
  • Remote Work: Mitarbeitende sind nicht mehr nur vor Ort tätig. Deckt sich weitgehend mit New Work.
  • Work-Life-Balance: Die private Sphäre hat idealerweise den gleichen Stellenwert wie der Beruf.
  • Work-Life-Blending: Privates und Berufliches vermischen sich. Man verbringt seine Freizeit mit Kollegen und arbeitet auch mal nach Feierabend.
  • Quiet Quitting: Übersetzt heißt das „stille Kündigung“. Mit der „inneren Kündigung“ hat das nichts zu tun. Das Personal engagiert sich nach Vorschrift, aber nicht darüber hinaus.

Fotos: iStockphoto, Adobe Stock

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