Betreutes Wohnen: Daheim statt im Heim

Ein selbstbestimmtes und komfortables Leben im Alter: Viele Senioren würden gern in eine Wohnanlage ziehen, die das ermöglicht. Doch wird von Residenzen und Anbietern von betreutem Wohnen oft mehr versprochen als gehalten.

Text: Daniela Eckstein

Residenz, betreutes Wohnen, Servicewohnen: Wer hinter solch wohlklingenden Bezeichnungen die Rundum-sorglos-Lösung für seinen Altersruhesitz erwartet, wird bei genauerem Hinsehen oft schnell eines Besseren belehrt. Statt Betreuung rund um die Uhr gibt es vielfach nur minimale Unterstützung. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es keine verbindlichen Maßstäbe für betreutes Wohnen gibt; staatliche Vorgaben und Kontrollen fehlen.

„Es kann sich alles Mögliche dahinter verbergen“, sagt Ursula Kremer-Preiß vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA). Seit vielen Jahren analysiert die Expertin diesen Markt und führt auch Umfragen und Kongresse dazu durch (siehe Interview). 2018 untersuchte sie rund 670 solcher Anlagen. Ein Ergebnis: Nicht einmal Barrierefreiheit kann man überall erwarten. 10 Prozent der Häuser können Senioren nur über Stufen und Schwellen betreten.

Lange Wartezeiten für betreutes Wohnen

Die Nachfrage ist allerdings so hoch, dass sich die Anbieter an Werbeversprechen gar nicht zu halten brauchen. In der Hälfte der Einrichtungen müssen Interessenten mit Wartezeiten von einem Jahr oder mehr rechnen. Denn viele rüstige Ruheständler möchten zwar noch eigenständig leben, wünschen sich aber mehr Versorgungssicherheit und Geselligkeit als in einer normalen Wohnumgebung. Es geht ihnen um Unterstützung im Alltag, Hilfe bei Krankheit und um Gemeinschaft. Für viele der oft alleinstehenden Bewohner ist die Angst vor Einsamkeit das Hauptmotiv für den Umzug.

In den meisten Servicewohnanlagen werden diese Wünsche zumindest ansatzweise erfüllt. Die Wohnung, die zur Miete oder zum Kauf angeboten wird, gibt es in Kombination mit einem Grundservice. Der umfasst in der Regel ein Hausnotrufsystem für medizinische Notfälle und zu festen Uhrzeiten eine Ansprechperson. In über zwei Drittel der vom KDA untersuchten Häuser sind zudem Gemeinschaftsräume vorhanden, die von den Bewohnern für gemeinsame Mahlzeiten oder gesellige Runden genutzt werden können und in denen der Betreiber Veranstaltungen anbietet.

Bestimmte Einrichtungen übernehmen auch Einkäufe. Oft kostet dieser Service wie viele andere Zusatzleistungen allerdings extra. Foto: Adobe Stock

Zusätzlicher Service kostet

Wer mehr Unterstützung benötigt, muss sie zusätzlich buchen und bezahlen – sei es Essen auf Rädern, Haushaltshilfe, Wäscheservice, Fußpflege oder ein Pflegedienst. In vielen Häusern vermittelt oder organisiert die Ansprechperson solche Dienste oder gibt Tipps, wo man Anbieter findet. Deutlich umfangreicher ist das Angebot in hochpreisigen Seniorenstiften und -residenzen. Es gibt darunter hotelähnliche Einrichtungen, die über Schwimmbäder und Parkanlagen verfügen. Mahlzeiten, Wohnungsreinigung und ein umfangreiches Freizeitangebot sind in der Regel im Preis enthalten.

Zunehmend wird in solchen Domizilen auch Altenpflege angeboten. Schreibt der Betreiber den Bewohnern aber vor, dass sie nur seinen Pflegedienst nutzen dürfen, kann das juristische Folgen haben. Die eingeschränkte Wahlfreiheit kann dazu führen, dass das Haus unter das Wohn- und Betreuungsgesetz fällt, das Bewohner in Pflegeheimen schützt. Die Rechtsprechung ist allerdings nicht eindeutig. „Ob das Gesetz zutrifft, muss derzeit im Konfliktfall einzeln gerichtlich überprüft werden“, berichtet Markus Sutorius vom BIVA-Pflegeschutzbund.

„Hinter betreutem Wohnen kann sich alles Mögliche verbergen“

Ohnehin wünscht sich der Jurist deutlich mehr Rechtssicherheit im Bereich des Servicewohnens. Viele Vertragsverhältnisse seien wenig durchschaubar. So ist oft nicht nur ein Mietvertrag mit dem Hauseigentümer, sondern auch noch ein Dienstvertrag mit dem Serviceanbieter abzuschließen. Ist jener aber an das Mietverhältnis gekoppelt, kann der Bewohner ihn nicht einfach kündigen, wenn er mit der Betreuung unzufrieden ist.

Knifflig kann es auch werden, wenn nach einem Verkauf des Gebäudes der neue Investor die weitere Betreuung infrage stellt; oder wenn der Serviceanbieter kündigt und der Hauseigentümer keinen neuen engagiert. „Wenn dann der Service komplett entfällt, ist zu klären, ob die Bewohner ein Sonderkündigungsrecht für die Wohnung besitzen“, sagt Sutorius. Um solche Fallstricke auszuschließen, sollte man sich den Vertrag genau ansehen. BIVA bietet seinen Mitgliedern die juristische Prüfung an und stellt auf der Website www.biva.de eine Checkliste zur Verfügung.

Pflege wird im betreuten Wohnen leisten ambulante Dienste. Doch nicht immer kann man den frei wählen. Foto: Adobe Stock

Vor dem Einzug genau prüfen

Gütesiegel, die Orientierung bieten könnten, haben sich bisher nicht durchgesetzt – auch nicht die DIN-Norm 77800, die Qualitätskriterien für betreutes Wohnen festlegt. Wichtig ist es daher, die Einrichtung zu besichtigen, möglichst mit Betreuern und Bewohnern zu sprechen und das Angebot eines Probewohnens zu nutzen.

Der Anteil öffentlich geförderter und damit preiswerter Serviceapartments ist in den vergangenen Jahren auf unter 25 Prozent zurückgegangen. Wer nur eine kleine Rente bekommt, sollte daher beim Sozialamt wegen Wohngeld oder Grundsicherung anfragen, um sich eine Wohnung auch in einer nicht geförderten Einrichtung leisten zu können.

Vor allem in Großstädten werden für Servicewohnungen nicht selten Quadratmeterpreise von 20 Euro und mehr als Kaltmiete verlangt. Der Grundservice schlägt vielerorts mit weit mehr als 100 Euro pro Monat zu Buche. Kosten für ambulante Pflege, den Hausnotruf und den Umzug werden – sofern ein Pflegegrad bereits anerkannt ist – teilweise von den Kassen übernommen (siehe „Geld für den Umzug“).

Zwei Drittel der Bewohner in Anlagen für betreutes Wohnen sind über 80 Jahre alt. Das führt oft zu Problemen. Stark pflegebedürftige Menschen kann man auch dort meist nicht ausreichend versorgen. Senioren sollten daher nicht zu lange mit dem Einzug warten. Vorteilhaft ist es, wenn sich die Wohnung im Gebäude eines Pflegeheims befindet. Steht dann ein Umzug in die Pflegestation an, handelt es sich nur um einen Wechsel innerhalb eines Hauses.

 

Geld für den Umzug

Pflegebedürftige können Finanzierungshilfe bei ihrer Kasse beantragen.

Bei nachgewiesener Pflegebedürftigkeit ab Pflegegrad 1 können gesetzlich Versicherte einen Zuschuss für den Umzug in eine Servicewohnung erhalten. Pro Person zahlt die Pflegekasse bis zu 4000 Euro – bei einem Ehepaar, das gemeinsam ins betreute Wohnen geht, also bis zu 8000 Euro. Gesetzliche Grundlage für die finanzielle Förderung ist § 40 des Sozialgesetzbuchs (SGB) über „Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“. Dazu zählt der Umzug in ein Serviceapartment dann, wenn die bisherige Wohnung nicht ausreichend behindertengerecht ist und auch ein Umbau die Lage nicht ausreichend verbessern kann. Die neue Wohnung muss barrierefrei sein, und es muss „die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt“ werden. Prinzipiell zuschussfähig sind etwa Umzugsberatung, Arbeitslöhne der Helfer, Material wie Umzugskartons und der Transport. Den Zuschuss muss man vor dem Umzug schriftlich bei der Pflegekasse beantragen.

 

„Vielfältiges Angebot“

Ursula Kremer-Preiß. Foto: Privat

Ursula Kremer-Preiß forscht beim Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) über Betreutes Wohnen.

S-Quin: Wie viele Servicewohnanlagen gibt es derzeit in Deutschland?
Kremer-Preiß: Ich schätze 6000 bis 7000 mit im Schnitt 60 Wohnungen. Genau wissen wir es nicht, es gibt keine Meldepflicht. Aber das Angebot wird kontinuierlich ausgebaut. Wir führen derzeit eine neue Anbieterbefragung durch und werden bald aktuelle Zahlen veröffentlichen.

S-Quin: Warum gibt es für diesen Bereich so wenige gesetzliche Regelungen?
Kremer-Preiß: Es geht darum, nicht so viele Vorgaben zu machen, damit sich ein vielfältiges Angebot entwickeln kann, das unterschiedlichsten Bedürfnissen älterer Menschen gerecht wird.

S-Quin: Drängen nicht immer mehr renditeorientierte Konzerne in diesen Markt?
Kremer-Preiß: Neben öffentlichen und gemeinnützigen Trägern gibt es immer mehr private – manche sprechen von einer zweiten Privatisierungswelle bei Pflegeimmobilien. Die Politik muss das noch genauer beobachten und eventuell gegensteuern. Und Interessenten für Betreutes Wohnen sollten die Anbieter sehr genau anschauen.

Titelfoto: Adobe Stock

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