Schlechte Zeiten? Womöglich genau der richtige Moment, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Wie sich das Risiko begrenzen lässt und welche Unterstützung es gibt.
Text: Christine Mattauch
Unternehmer zu werden, kann ganz schön anstrengend sein. „Wenig Schlaf und Arbeitstage mit 14 Stunden“, sagt Benjamin Dauth, wenn er auf die letzten Jahre zurückblickt. Dafür hat er in kurzer Zeit eine Menge geschafft: Patent angemeldet, Prototyp erstellt, Geldgeber gewonnen. „Es läuft super“, so der 36-Jährige.
Green Convenience heißt das Unternehmen, das er 2020 gründete. Das Produkt ist eine Software, die garantiert, dass Pakete nur zugestellt werden, wenn ihre Empfänger zu Hause sind. Das klappt dank künstlicher Intelligenz und ist datenschutzkonform. Dauth gewann damit auf Anhieb einen Platz in einem Frankfurter Innovationszentrum. Heute ist das Start-up Mitglied eines Forschungskonsortiums und akquiriert erste Kunden.
Ein eigenes Unternehmen zu führen, ist für viele Menschen attraktiv, auch bei schwächelnder Konjunktur. Waren Gründungen im vergangenen Jahr in Deutschland noch leicht rückläufig gewesen, stiegen sie nach Angaben des Statistischen Bundesamts im ersten Halbjahr 2023 wieder an – um rund 10 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Christoph Stresing, Geschäftsführer des Startup-Verbands in Berlin, findet das gut. „Es gibt keine falsche Zeit, zu gründen“, sagt er.
Förderungen und Beratungsangebote erleichtern den Entschluss. „Gründer werden heute wirklich sehr gut unterstützt“, sagt Ruth Jülicher, Fachberaterin öffentliche Förderdarlehen bei der Sparkasse Neuss. Die Kunst besteht darin, aus der Flut von Programmen die passenden herauszuziehen und sich zu vernetzen. Neben Mut, Flexibilität und Durchhaltevermögen braucht es ein Quäntchen Glück – und Strategien zur Risikobegrenzung.
Gründen in Teilzeit
Gründer Dauth sah für seine Idee von Anfang an gute Chancen. Trotzdem fiel dem Speditionskaufmann die Entscheidung für Green Convenience nicht leicht, immerhin befand sich er sich in einer Festanstellung. Die Lösung: Er behielt die Stelle und arbeitete nach Feierabend an seinem Start-up.
Als sich die ersten Erfolge einstellten, handelte er mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag aus, der ihm den allmählichen Übergang zum Vollzeitgründer ermöglichte. Etwa die Hälfte aller Gründungen seien zunächst Nebenerwerbsbetriebe, sagt Julius Schütz, Referent Existenzgründung bei der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck: „Wir nennen es den ‚kleinen Start‘. Er ist eine gute Möglichkeit, um ein Konzept zu testen.“
Wie groß das Potenzial einer Idee in der Praxis ist, hängt vor allem davon ab, welchen Mehrwert sie Kunden bieten kann. Weitere Faktoren sind Konkurrenzsituation, Standort und Persönlichkeit des Gründers. Ein Eigenbrötler wird sich bei Projekten, die viel Kommunikation erfordern, schwerer tun als ein geselliger Mensch; wer Entscheidungen scheut, braucht womöglich einen entschlussfreudigen Kompagnon. „Wichtig ist auch, wie das familiäre Umfeld zu dem Vorhaben steht“, sagt Schütz. Er rät dazu, sich Zeit zu nehmen, einen Plan auszuarbeiten und mit Angehörigen und Freunden über das Projekt zu sprechen.
Rechtzeitig Spezialisten fragen
Hilfreich können auch Einsteiger- oder Basisseminare sein, wie sie IHK, Handwerkskammern, Kommunen und Sparkassen anbieten. Dort werden Grundlagen vermittelt, etwa zur Gewerbeanmeldung, zur Sozialversicherung und zum unerlässlichen Businessplan. Einzelberatungen sind nützlich, um Fragen zu klären und Kontakte zu Spezialisten herzustellen. „Als Gründer sollte man nie denken, man könne alles selbst“, warnt Dauth. Sein erster Weg hatte ihn zum Patentanwalt geführt, um sicherzugehen, dass die Technologie nicht schon von anderen geschützt worden war.
Die besten Ratschläge kommen häufig aus der Szene, von anderen Gründern etwa oder Investoren. Auch deshalb ist der Aufbau eines Netzwerks wichtig. In Großstädten ist das Angebot an After-Work-Partys oder Demo-Nights enorm. Ob jemand lieber den Gründerstammtisch einer IHK besucht oder die „Lange Nacht des Scheiterns“ eines Innovationszentrums, ist Geschmackssache und hängt auch von den Zielen ab. Beim Icebreaker des Frankfurter Tech-Quartiers fand Dauth einen Studenten, der Lust hatte, sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der Softwareentwicklung von Green Convenience zu beteiligen. In kleineren Städten können auch Sport-, Karnevals- und andere Vereine wichtige Kontaktbörsen sein.
Zu den wichtigsten Themen einer Gründung gehört die Finanzierung. „Wer Geldgeber überzeugen will, muss für seine Idee brennen“, sagt Sparkassenberaterin Jülicher. Wo Eigenkapital und Zuschüsse von Familie und Freunden nicht reichen, wird gern der ERP-Gründerkredit Startgeld der KfW in Anspruch genommen, der über Banken und Sparkassen vergeben wird. Gründer können damit Betriebsmittel, Maschinen oder Materialien zinsgünstig finanzieren. Wer aus der Arbeitslosigkeit heraus den Sprung in die Selbstständigkeit wagt, kann bei der Agentur für Arbeit zusätzlich zum Arbeitslosengeld einen Gründungszuschuss von 300 Euro monatlich beantragen.
Neben bundesweiten Programmen existiert eine Vielzahl regionaler, kommunaler und privater Förderungen. „Besonders beliebt sind Gründerstipendien“, weiß Jülicher – monatliche Zahlungen, die über einen bestimmten Zeitraum den Lebensunterhalt sichern; teilweise wird Gründern auch ein Coach zur Seite gestellt. Es gibt zudem zielgebundene Hilfen, in Hessen etwa Zuschüsse für die Entwicklung von Computerspielen. Generell haben es innovative Gründungen leichter als traditionelle: Für eine coole App gibt es mehr Hilfe als für ein Nagelstudio.
Alle Chancen nutzen
Private und halb öffentliche Programme wie Akzeleratoren, Mentorenbegleitung oder Kooperationsangebote von Firmen findet man oft durch Recherche oder Mundpropaganda. Benjamin Dauth hörte durch einen Kollegen vom Technologiezentrum House of Logistics and Mobility (HOLM) und bewarb sich erfolgreich um einen Platz im Start-up-Lab: Er bekam ein kostenloses Büro und konnte Konferenzräume nutzen, wurde zu Events eingeladen und Investoren vorgestellt. Später profitierte er von einem HOLM-Programm, das eine Forschungskollaboration mit der TU Darmstadt finanzierte. Überdies nutzte er Programme von Amazon und Google.
Viele junge Tech-Unternehmen nehmen auch private Geldgeber in Anspruch, etwa Business-Angels oder Risikokapitalfirmen. Diese tauschen Kapital gegen eine Beteiligung am Start-up, was allerdings auch heißen kann, dass sie mitbestimmen wollen. Gründerinnen erhöhten ihre Chancen, wenn sie sich an Investorinnen wendeten, meint Stresing. Das gilt vor allem dann, wenn das Geschäftsmodell auf eine weibliche Kundschaft zielt.
Bei jeder Gründung gibt es auch Rückschläge. Wann sollte man aufgeben? „Nicht zu früh den Mut verlieren“, rät Stresing, räumt aber ein: „Die richtige Balance zwischen Durchhaltewillen und Realismus ist eine der größten Herausforderungen.“ Für IHK-Referent Schütz ist der Soll-Ist-Vergleich mit dem Businessplan ausschlaggebend: „Zahlen lügen nicht.“ Sein Trost für alle, deren Gründung scheitert: „Man hat viel gelernt, das ist wertvoll – auch für einen zweiten Versuch.“
Die ersten Schritte
Gründer können viele Infos nutzen – auch bei der Sparkasse gibt es Hilfe.
- Rat einholen. Die meisten neuen Unternehmen sind Chancengründungen. Ihre Initiatoren glauben an eine Idee, die wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Ob andere das genauso sehen, lässt sich durch Gespräche mit Familie und Freunden herausfinden – und mit Beratern von IHK oder Sparkasse. Infos gibt es auch unter de/existenzgruendung.
- Gut planen. Auf der Website Gruenderplattform.de des Bundeswirtschaftsministeriums und der Förderbank KfW ist das Gründungsgeschehen in Module unterteilt. So lässt sich nach dem individuellen Stand gezielt Unterstützung abrufen, etwa zur Erstellung eines Businessplans. Er ist das wichtigste Instrument, um eine Gründung vorzubereiten und Geldgeber zu überzeugen. Über Förderungen informiert die Seite Foerderdatenbank.de des Wirtschaftsministeriums.
- Checklisten nutzen. Sich selbstständig zu machen, ist nicht jedermanns Sache. Wer unsicher ist, dem helfen Tests und Checklisten, auf die das Portal Existenzgruender.de Die Website gibt auch Infos für Entscheidungen zur Rechtsform oder Finanzierung. Ein Glossar von B wie Behörden bis V wie Versicherungen ermöglicht eine schnelle Orientierung.
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