Für die Ehre und ein gutes Gefühl

Ohne ehrenamtlich Tätige würden viele Bereiche unserer Gesellschaft nicht funktionieren. Der Gesetzgeber behandelt ihr Engagement daher bevorzugt.

Text: Melanie Rübartsch

Einsamkeit, Ängste, dunkle Gedanken: Mit der Pandemie haben sich solche Gefühle immer weiter ihren Weg in den Alltag vieler Menschen gebahnt. Die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Telefonseelsorgen in Deutschland erfahren das unmittelbar. Sie stehen Menschen telefonisch oder per E-Mail zur Seite, hören zu und versuchen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.

Karin Lüth, hauptberuflich im Bereich gewerbliche Förderdarlehen bei der Sparkasse Neuss tätig, hat sich vor etwa sechs Jahren zur Telefonseelsorgerin ausbilden lassen, um danach 15 Stunden im Monat im freiwilligen Dienst in der Rufzentrale in Neuss zu absolvieren. Eine Tätigkeit, die sie wegen einer beruflichen Veränderung inzwischen aber aufgeben musste. „Vor etwa zwei Jahren ergab sich dann die Möglichkeit, das Amt der Schatzmeisterin des Fördervereins der Telefonseelsorge Neuss zu übernehmen. Das hat mich sofort angesprochen“, erzählt die 60-Jährige.

Seitdem regelt sie in ihrer Freizeit alles, was finanziell anfällt: Jahresabschluss, Buchhaltung, Rechnungsverwaltung. „Ich freue mich sehr, dass ich zumindest auf dem Weg diese wichtige Aufgabe unterstützen kann“, sagt sie. 67 Ehrenamtliche sind bei der Telefonseelsorge Neuss als Kontakt zu Hilfesuchenden tätig. „Diese Hilfe ist unbezahlbar, und der Bedarf steigt leider stetig“, ergänzt sie. Das Angebot ist anonym und kostenfrei.

Karin Lüth ist einer von geschätzt fast 30 Millionen Menschen, die sich in Deutschland ehrenamtlich engagieren. Ob im Brauchtum, im Sport, bei Musikvereinen, im Tierschutz, bei der freiwilligen Feuerwehr, in der Lokalpolitik, den Kirchen oder im sozialen Bereich: Ohne die ehrenamtlichen Helfer würden viele Bereiche unserer Gesellschaft nicht funktionieren. „Bürgerschaftliches Engagement trägt maßgeblich zum Zusammenhalt bei und stärkt die Demokratie“, sagt Katarina Peranić, Vorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (siehe Interview).

Wie der Staat Ehrenamtliche unterstützt

Ehrenamtliche arbeiten freiwillig. Daher müssen sie im Rahmen ihrer Tätigkeit zum Teil andere Regeln als Angestellte beachten, werden aber bisweilen vom Gesetzgeber auch bevorzugt behandelt. Das gilt vor allem für den Verdienst, wenn einer fließt. So gewährt der Fiskus eine generelle Ehrenamtspauschale von 840 Euro im Jahr. Bis zu dieser Höhe bleibt ein mögliches Entgelt auf jeden Fall steuerfrei. Die Ehrenamtspauschale gilt insbesondere für organisatorische Tätigkeiten wie Bürojobs, technische Hilfe oder Vorstandsarbeit.

Noch privilegierter sind Übungsleiter und Personen, die sich im weitesten Sinne pädagogisch engagieren, etwa Trainer, Ausbilder, Lehrende aller Art, Spielkreis- und Ferienbetreuer oder Chorleiter. Erhalten sie eine Gage für ihren Einsatz, bleibt die sogar bis zu einer Höhe von 3000 Euro pro Jahr steuerfrei. Voraussetzung: Sie sind im Nebenjob als Betreuerin oder Betreuer tätig. Die Zeit fürs Ehrenamt darf – bezogen auf das Kalenderjahr – nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitjobs ausmachen. Geht man von einer 39-Stunden-Woche aus, wären das also höchstens 13 Stunden pro Woche.

Telefonseelsorge ist ein Beispiel für soziales Engagement – eine der häufigeren ehrenamtlichen Betätigungen.

Josefine Müller engagiert sich maximal fünf Stunden in der Woche ehrenamtlich für ihren Tennisverein. Seit etwa einem Jahr ist die 15-jährige Schülerin Teil eines Teams aus Jugendlichen, das das Mannschaftstraining der unter Zwölfjährigen beim TSV Meerbusch übernimmt. Mit dem Stundenlohn zwischen 5 und 10 Euro bessert sie ihr Taschengeld auf.

Josefine betreut vor allem die „Minis“, die erste Erfahrungen mit Tenniswettspielen machen. „Wir versuchen, den Mannschaftsgeist im Team zu stärken und den Kindern Tipps aus unserer eigenen Erfahrung mitzugeben – das Ganze auf möglichst spielerische und lustige Art“, erzählt die Meerbuscherin. Neben der Minimannschaft hat die Schülerin im vergangenen Jahr drei ukrainische Jungs im Alter von acht bis zehn Jahren bei ihren ersten Schritten auf dem Tennisplatz betreut. „Wegen der Sprachbarriere war das eine besondere Herausforderung, aber wir haben es gemeinsam richtig gut hinbekommen“, sagt sie.

Vorteile für Rentner

Nicht nur Schüler bessern ihr Budget bisweilen über ein Ehrenamt auf, sondern auch Rentner. Auf ihr Altersgeld müssen sie etwaige Einkünfte nicht anrechnen lassen. Das galt schon immer für Seniorinnen und Senioren, die ihre Regelaltersrente beziehen. Seit Anfang des Jahres müssen auch Frührentner, die sich ehrenamtlich engagieren, keine Hinzuverdienstgrenze mehr berücksichtigen.

Und noch ein Punkt zur Rentenanwartschaft: Bisweilen beansprucht ein Ehrenamt während des Berufslebens so viel Zeit, dass die Freiwilligen die eigentliche Arbeit nicht in vollem Umfang ausüben können. Wer wegen des Ehrenamts ein geringeres Arbeitsentgelt erhält, kann nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung bei seinem Arbeitgeber beantragen, dass auch das entgangene Arbeitsentgelt in die Beitragsberechnung einfließt. Den entsprechenden Beitrag müssen die Freiwilligen allerdings allein tragen.

Mit seinem Schützenverein organisiert Lukas Esser, Mitarbeiter der Sparkasse Neuss, Konzerte für Seniorenheime – zur Freude der Bewohner.

Einen Gedanken müssen Ehrenamtliche auch auf die Versicherung verwenden. Hier gilt: Wer sich im Auftrag von öffentlichen Einrichtungen, Kirchen oder Vereinen engagiert, ist in der Regel gesetzlich oder über eine Berufsgenossenschaft unfallversichert. Anders sieht es bei einem rein privaten Engagement oder privater Nachbarschaftshilfe aus. Darüber hinaus haben die meisten Vereine und Organisationen auch Haftpflichtversicherungen für ihre Helfer abgeschlossen. Hier lohnt es sich, nachzufragen.

Wichtig ist schließlich das Verhältnis zum Hauptarbeitgeber. Ist im Arbeitsvertrag geregelt, dass man den Chef über Nebentätigkeiten informieren muss, gilt das auch fürs Ehrenamt. Verbieten kann der Vorgesetzte es aber nur ausnahmsweise, etwa wenn die Arbeitsleistung leidet.

Die Freude der Menschen als Motivation

Dass sich Lukas Esser neben seinem Job als Privatkundenbetreuer bei der Neusser Sparkassenfiliale in Grevenbroich-Kapellen im Vorstand des Schützenvereins BSV Grevenbroich engagiert, weiß sein Arbeitgeber – und schätzt das auch. Denn ehrenamtliches Engagement wird bei der Sparkasse Neuss unterstützt. Der 33-Jährige kümmert sich um alles, was mit Musik zu tun hat: Spielmannszüge organisieren, Einsatzpläne schreiben, Bands oder DJs für das Festzelt buchen, Musiklisten bei der Gema einreichen.

Während der Coronazeit hatte der gebürtige Kölner darüber hinaus besondere Musik-Events auf die Beine gestellt. „Zu Weihnachten und im Frühjahr habe ich im Rahmen der Coronaauflagen kleine Konzerte in den vier Seniorenheimen im Stadtgebiet veranstaltet, um die Bewohner auf andere Gedanken zu bringen“, berichtet er. Diese Musikreihe führt er auch jetzt fort.

Etwa 1,5 Stunden täglich investiert Esser ins Ehrenamt. Geld erhält er nicht. Das ist für ihn auch nicht entscheidend, denn: „Leute zusammenzubringen und zu sehen, welche Freude sie während der Feste und Konzerte haben, ist einfach nur schön.“

 

Ehrenamt, aber wie?

Wer überlegt, sich ehrenamtlich zu engagieren, hat verschiedene Möglichkeiten.

  • Vor Ort: Ob Sport, Brauchtum oder Musik – fast jeder Verein ist auf der Suche nach Unterstützern, die Aufgaben oder Ämter übernehmen. Am besten direkt im Verein nachfragen.
  • Vermittlung: In ganz Deutschland gibt es Freiwilligenagenturen, die Engagierwillige und soziale Einrichtungen zusammenbringen. Hier findet man sie: bagfa.de/agenturatlas.
  • Die gleiche Idee verfolgt govolunteer.de.
  • Hilfsorganisationen: Wer speziell Hilfsorga­nisationen seine Dienste anbieten möchte, schaut sich auf helfenkannjeder.de um. Per Helf-O-Mat lässt sich zudem herausfinden, welche Tätigkeit einem am ehesten liegt.

 

„Das Ehrenamt ist unbezahlbar“

Katarina Peranić, Vorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, im Interview.

Katarina Peranić

Mein Lübecker: Sind die Deutschen engagiert?
Peranić: Das bürgerschaftliche Engagement ist in Deutschland stark ausgeprägt. In rund 630.000 Vereinen und Organisationen engagieren sich etwa 29 Millionen Bürgerinnen und Bürger. In Europa rangiert Deutschland damit im oberen Mittelfeld. Der stärkste Engagementbereich ist hierzulande traditionell Sport und Bewegung. Gerade in schwierigen Zeiten, wie in Krisen oder bei Katastrophen, zeigt sich die große Kraft und Solidarität des bürgerschaftlichen Engagements.

ML: Was würde passieren, wenn es Ehrenamtler nicht gäbe?
Peranić: Die freiwillige bürgerschaftliche Hilfe ist eine wesentliche Stütze unserer Gesellschaft – sie ist unbezahlbar. Das Engagement trägt maßgeblich zum Zusammenhalt bei und stärkt die Demokratie durch aktive Mitgestaltung. In den Lockdowns 2020 und 2021 hat sich gezeigt, was es bedeutet, wenn zumeist ehrenamtlich organisierte Angebote ausfallen. Die Auswirkungen insbesondere auf Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen waren enorm. Andererseits waren es oft Freiwillige, die anderen unkompliziert und schnell ihre Hilfe im Lockdown-Alltag angeboten haben.

ML: Wie schätzen Sie die Unterstützung für Freiwillige ein?
Peranić: Es wird schon viel für das bürgerschaftliche Engagement getan. Mit der Gründung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt wurde beispielsweise eine bundesweite Anlaufstelle für bürgerschaftlich Engagierte geschaffen. Es ist aber noch weit mehr Unterstützung notwendig: einerseits in Form von Fördermitteln, andererseits durch die Entlastung von bürokratischen Vorgaben. Auch verdient bürgerschaftliches Engagement mehr Anerkennung und Wertschätzung in der Bevölkerung.

Fotos: Adobe Stock, privat

 

 

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